Cymorils Ankunft
Wie die weißhaarige Amazone mit den roten Augen zum Orden vom Zorne Rondras kam
"RUNTER!" Der Ruf weckte die Instinkte in ihr
und ohne eine weitere Überlegung ließ die Frau sich fallen. Ein hohes Sirren
in der Luft zeigte ihr den Flug des geflügelten Geschosses an und das gurgelnde
Stöhnen ihres Gegners den Treffer.
Sie stand auf, der Schmerz durchfuhr ihr Bein wie glühende Nadeln, doch ihr
Schwert lag fest in der Hand, als sie es in die Schlagrichtung ihres zweiten
Gegners brachte.
"Für die HERRIN!" Etwas Weißes stürmte in ihr Sichtfeld und dann
klirrte Stahl auf Stahl, als nun ihr Gegner, ein stinkender, unrasierter Hüne
sich einem neuen Feind gegenüber sah. Ein Mann, angetan in einen weißen
Waffenrock. Seine Gesichtshälfte die ihr zugewandt war, war durch ein Geflecht
von Narben gezeichnet, sein linkes Auge war von einer ledernen Klappe verdeckt.
Er parierte den kraftvollen Hieb des in Schwarz und Rot gekleideten Gardisten
und nutzte dessen Schwung um den Anderthalbhänder seines Feindes zur Seite zu
schlagen. Mochte der Hüne ihn auch an Körperkraft weit überlegen sein, an
Schnelligkeit war er ihm unterlegen und dies war sein Todesurteil.
Noch bevor sein Gegner genug Schwung holen konnte um seine Waffe wieder zu einem
Schlag zu führen, bohrte sich der Stahl des Schwertes, welches der Kämpfer in
Weiß trug, bis zum Heft in den Körper des Feindes. Unglauben spiegelte sich in
den Augen des Hünen wieder und wich erst, als der Glanz des Lebens in ihnen
brach.
"Möge der schweigsame Herr dir Gnade gewähren...". Ein Pfeil zog am
Gesicht des unbekannten Mannes vorbei und der zweite im Bunde gab ein raues
Lachen von sich, als er wieder sein anvisiertes Ziel traf. Nun wendete der Mann
in dieser seltsamen Tracht, denn wie sonst sollte man hier solch ein
auffälliges Kleidungsstück nennen, gut vier Meilen hinter der Front auf
feindlichem Gebiet, sich der Kämpferin zu.
Fast erwartete sie in seinem verbliebenen Auge die Abscheu zu sehen, die immer
in den Augen der anderen zu sehen war, wenn sie realisierten, wer sie wirklich
war, doch dort in diesem stahlgrauen Auge fand sie nichts dergleichen...
Er streckte seine Hand aus um sie zu stützen.
"Kommt! Sie werden schon bald Verstärkung bekommen. Ihr werdet mit uns
reiten."
Sie sah nur kurz zu ihrem Pferd hin, welches kaum zwei Schritt entfernt mit
gebrochenen Beinen auf dem Boden lag und mit blutigen Nüstern sein treues Leben
aushauchte. Es hatte sie bis zu letzt getragen. Hatte all die Pfeile in seinen
Flanken ignoriert und war erst an dieser verdammten Wurzel gescheitert, die
sich, durch dämonisches Unleben erweckt, zu einer Stolperfalle erhoben hatte.
Sie hatten sie gejagt, doch mit einem grimmigen Nicken wusste sie, das sie
gewonnen hatte. Sie hatte diesem verdammten Dämonenknecht, der für die Kirche
des verfluchten Borbarads Steuern eintreiben hatte wollen, den Kopf abgeschlagen
und diesen selbst in die Schatztruhe gesteckt. Sollte doch der schwarze Drachen
von Warunk sich der verdammten Gebeine noch annehmen.
Es waren vier Drachengardisten bei dem Zug dabei gewesen und noch vier weitere
Söldner. Zwei Söldner waren sofort unter ihren Hieben gefallen, einer der
Gardisten versuchte mit seinem Körper den Vertreter der unheiligen Kirche zu
schützen. Er war mit seinem Herrn gestorben, dann hatte sie dem Pferd die
Sporen gegeben, denn in der Ferne näherte sich ein weiterer Trupp und sie hatte
keine Zeit zu verlieren.
Sie hatten sie gejagt, bis zu dieser Stelle und hier hatte sie sich den
Verfolgern stellen müssen. So gut sie auch war, aber die Strapazen die hinter
ihr lagen zeigten deutlich Wirkung.
Zwei Söldner fielen unter ihren Hieben, doch die Drachengardisten begannen ein
grausames Spiel mit ihr. Sie nahmen sie in die Mitte und hielten sie auf
Entfernung, so das sie langsam aber sicher müde werden musste. Die Treffer, die
sie immer wieder in das rechte Bein setzten, schwächten ihre Kraft noch mehr.
Vielleicht hätte sie es nicht mehr geschafft, als sie ihren Ausbruchsversuch
unternahm, doch dann waren sie gekommen...
Mit einer kleinen Bewegung des Kopfes verscheuchte die Frau diese
Gedanken, es gab noch etwas zu tun. Mit deutlicher Trauer in den Augen humpelte
die Frau auf ihr Pferd zu, keine Miene verziehend angesichts der schweren Wunde
in ihrem Bein. Der Unbekannte schickte sich schon an, etwas zu sagen, aber ein
Blick in die roten Augen der Frau sagte ihm, dass es wohl besser sei, zu
schweigen. Langsam kniete die Frau sich
hin und streichelte dem Pferd behutsam über den Kopf. Leise flüsterte sie auf
es ein und das Tier schenkte ihr einen dankbaren Blick. Dann
stand die Frau auf und nahm ihren Bogen, der noch an der Satteltasche hing und
einen Pfeil. Sie spannte den Bogen, visierte ihr Ziel an und
nach einem letzten traurigen, grimmigen Blick erlöste sie das Pferd mit einem
gezielten Schuss von seinem Leiden. Dann sammelte sie die ihr verbliebenen
Sachen auf und humpelte zurück zu den Unbekannten, der ihr
entgegen kam und sie zu seinem Pferd führte. Sie schaute zu dem zweiten,
jüngeren Mann hin, der abwartend und sichernd neben seinem
Pferd stand. Der Bogen in seiner Hand war mit Fell überzogen. Die Pfeile die
aus dem Köcher ragten hatten eine auffällige weißblaue
Befiederung. Ohne sie zu fragen packte der Ältere sie und half ihr aufs
Pferd, dann setzte er sich hinter sie. "Steig auf Gerothin." Während
der Mann, der Gerothin geheißen wurde, sich in den Sattel schwang,
hatte der ältere Mann sein Pferd so dirigiert, das es zwischen Gerothin und
einem möglichen Feind stehen würde. Er deckte seinen Kameraden...
Los ging der Ritt und keiner schonte sein Ross. Erst eine Stunde später
verlangsamten sie die Geschwindigkeit und nach einer weiteren Stunde machten sie
eine Rast. Der edle Herr nahm die Kriegerin behutsam vom
Pferd und achtete nicht auf ihre abwehrende Haltung. Ruhig besah er sich die
Wunde am Bein, ging zu seinem Pferd und entnahm der
Satteltasche Verbandsmaterial, einen Wasserschlauch und einen weiteren
kleineren Schlauch. Sorgfältig reinigte er die Wunde, spülte sie mit dem
Alkohol aus und begann dann, während er der Kriegerin den
Wasserschlauch reichte, diese zu verbinden. Er tat dies in einer Ruhe und mit
solcher Vorsicht, als hätte er nie etwas anderes in seinem Leben getan.
"Ich bin Peraindorn Wulfensforst und dies ist mein Bruder
Gerothin Wintersohn. Wir sind Brüder des Ordens des Heiligen Zorns der Herrin
Rondra. Die Herrin stand euch bei, denn wir waren gerade auf einem
Erkundungsritt, als wir die Geräusche eures Kampfes hörten."
Dankbar nahm die Frau den Wasserschlauch an. Sie versuchte, sich nichts von den
Schmerzen anmerken zu lassen, die sich wie eine Schlange aus Feuer in ihrem Bein
wanden. Sie wollte keine Schwäche zugeben vor den Unbekannten, aber als
Peraindorn Alkohol über die Wunde laufen lies, konnte sie ein Stöhnen nicht
unterdrücken. Als er fertig war, und die Schmerzen halbwegs erträglich waren,
blickte sie ihm unverwandt in die
Augen. "Mein Name ist Cymoril. Habt Dank für Eure Hilfe, edler Herr.
Ohne Euch, Euren Bruder und den Beistand der Löwin wäre es wohl um mich
geschehen gewesen. Auch Euch, Gerothin, gilt mein Dank. Ich stehe in Eurer
Schuld" Beide nickten nur. "Was verschlug Euch in diese
ungastliche Gegend?" Richtete Gerothin das Wort an sie. "Nun, ich
hatte einen Auftrag zu erledigen und war schon seit fast 3 Wochen in dieser
Gegend unterwegs, bis ich meine Aufgabe erledigen konnte. Auf dem
Rückweg traf ich auf diese Bande, die von den armen Leuten hier Steuern
erpressen wollte für ihren verfluchten Herrn. Das konnte ich natürlich nicht
zulassen, und stellte sie zum Kampf. Die werden so schnell keine
Dukaten mehr zu ihrem Herrn bringen." Ein hämisches Grinsen fuhr durch
ihre Züge und Gerothin wurde es kurz mulmig zumute. Diese Frau war einfach
unheimlich, besonders die Augen behagten ihm überhaupt nicht. Cymoril sah ihn
an: "Ha, auch er..." dachte sie so bei sich, und ihr Grinsen wurde
noch eine Spur hämischer. Dann jedoch sah sie wieder zu Peraindorn und in
seinem gezeichneten Gesicht erblickte sie weder
Abscheu und Unbehagen. Das gefiel ihr. Andro hatte sie bei der ersten Begegnung
auch so angesehen... "Von Eurem Orden habe ich schon das ein oder andere
Mal gehört. Ihr habt hier eine Burg irgendwo, nicht wahr?"
"Ja" antwortete Peraindorn. "Burg Haderstein. Ihr könnt uns
begleiten, und dann dort Eure Verletzung auskurieren." Cymoril überlegte
einen Moment. Dann sah sie auf ihr verbundenes Bein und meinte
schulterzuckend: "Gut, eine andere Wahl habe ich ja wohl nicht, so komme
ich nicht weiter und ohne Pferd erst recht nicht. Dennoch muss ich Euch bitten,
mir eine Möglichkeit zu gewähren, meinem Auftraggeber eine
Nachricht zukommen zu lassen. Natürlich werde ich mich erkenntlich zeigen für
Eure Hilfe und Gastfreundschaft, sobald es mir möglich ist."
"Wir sind Geschwister in unserem gerechten Kampf. Unsere Gastfreundschaft
gewähren wir Euch gerne, denn auch zum Haderstein drang die Kunde von Euch. Ihr
habt dem Feind schon so manches Mal die Pläne durchkreuzt, wie auch diesmal
wieder. Ihr seid eine ehrenhafte Streiterin der Herrin und wir werden Euch gerne
jede Unterstützung gewähren, die wir ermöglichen können. Ich bin froh Euch
nun endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen." In seinem
Antlitz war keine Spur von Lüge zu erkennen. Es hatte sich sogar ein Lächeln
über seine Züge gelegt, dieses zerfaserte aber, als er den forschenden Blick
Cymorils bemerkte. Etwas zu rasch dreht er seine linke Gesichtshälfte weg, so
das sie diese nicht mehr sehen konnte. Trauer lag kurz in dem gesunden Auge und
sein Gesicht verzog sich, als würde er Schmerzen verspüren.
"Lasst uns später dieses Gespräch fortsetzen, wenn wir unter Freunden
sind." War da ein Klang von Schwermut und Müdigkeit zu vernehmen? Fast so,
als wolle er seine Worte von eben Lügen strafen, straffte sich seine Gestalt
und er drehte sich zu seinem Bruder um. Hart klang der Befehl aus seinem Mund.
"Aufsitzen Gerothin!" Nun packte er seine Sachen zusammen, dabei
konnte Cymoril ein Dankgebet zur gütigen Herrin Peraine vernehmen. Ein Gebet,
wie es sonst nur die Geweihten der Herrin Peraine beteten, wenn sie einen
Kranken oder Verletzten behandelt hatten.
Er schaute nicht mehr zu ihr hin, als er zu seinem Pferd schritt. "Gerothins
Pferd ist ausgeruhter. Ihr werdet mit ihm reiten."
Ohne ein weiteres Wort saß er auf und gab seinem Pferd die Sporen.
Der recht schweigsame Gerothin wollte Cymoril eigentlich noch etwas sagen, doch
als der Befehl des Wächters ertönte kam er diesen ohne zu zögern nach. Der
Krieger reichte der Frau seinen Arm und half ihr hinter sich aufs Pferd, ehe er
seinem Bruder folgte. Wintersohn wusste was seinen Kameraden schmerzte, denn
auch wenn er selbst nicht mit Menschen umgehen konnte, so konnte er doch
beobachten und sehen. Und es fiel ihm so einfach die Gefühle anderer zu
erkennen, so einfach, als wäre er auf der Jagd nach einem würdigen
Wild..... 'Folget Eurem Herzen Wulfensforst! Die Götter alleine wissen,
wozu wir bestimmt sind und wann sich diese Bestimmung erfüllen wird mit diesen
Gedanken gaben nun auch Gerothin seinem Pferd die Sporen und schloss mit etwas
Mühen
auf seinen Vorgesetzten auf.
Nach einem langen und anstrengenden Ritt erreichten sie schließlich den
Haderstein, dieses Wehrgehöft mit dem hoch aufragenden Turm in seiner Mitte.
Schon von weitem hatte man die Arbeiten an den Mauern und dem Turm selbst
erkennen können. Die Mauern, die mit einem hölzernen Wehrgang abgeschlossen
wurden, hatten an einigen Stellen deutlich sichtbare Zeichen von Ausbesserungen.
Alles in allem machte dieses Wehrgehöft aber einen guten Eindruck.
Der Turm selbst war in typisch tobrischer Bauweise errichtet, dies hieß er
bestand im unteren Drittel aus grob behauenen, fast natürlich belassenen
Steinen und ging dann in die wohl geformte Bauweise über, wie man sie aus
anderen Teilen des Reiches her kannte, wobei hier auch ordentlich Putz
aufgetragen worden war.
Weiß und rot waren die Farben des Turmes. Rot strahlten die Ecksteine und auch
das Dach war mit roten Ziegeln bedeckt worden. Weiß war die Grundfarbe. Schon
von weitem konnte man so sehen, wer hier seine Wache hielt.
Zwei größere Nebengebäude gab es und auch eine Schmiede konnte Cymoril
erkennen. Dort arbeitete ein Angroschim, der seinen Hammer kurz zur Begrüßung
hob, als sie durch das Tor ritten. Seien Worte gingen im Fauchen des Blasebalgs
unter.
Peraindorn saß ab und erteilte einige schnelle Befehle, daraufhin half Gerothin
Cymoril vom Pferd. "Ihr solltet Euch ausruhen." "Zuerst muss ich
eine Depesche aufgeben, ich bin damit eh schon sehr spät an. Ich brauche etwas
zum Schreiben und ein paar Minuten Ruhe" "Hm" Zweifel standen im
Gesicht des Kriegers. "Wie Ihr wünscht." Gesagt, getan, nach ein paar
Minuten war die Depesche fertig und auf dem Weg nach Gareth.
"So, jetzt ist es aber an der Zeit. Eure Kammer ist auch schon fertig, dort
könnt Ihr Euch ausruhen." Gemeinsam gingen Gerothin und die Frau unter den
neugierigen, teilweise verängstigten Blicken der anderen
Burgbewohner los in Richtung von Cymorils Kammer. Dort angekommen ließ sie sich
sofort auf das Bett fallen, und nachdem Gerothin gegangen war, fiel sie in einen
traumlosen und tiefen Schlaf.
Als sie aufwachte fielen goldene Sonnenstrahlen durch das Fenster. Sie
hatte einen Moment lang Schwierigkeiten, sich an alles Geschehene zu erinnern,
aber als sie sich umdrehen wollte, und die Wunde in ihrem
Bein wieder zu schmerzen begann, strömten die Bilder wieder vor ihr geistiges
Auge und sie wusste wieder, wo sie war: Burg Haderstein. Der Orden des Heiligen
Zornes der Herrin Rondra... Edle und tapfere Recken, die hier die Grenzen
bewachten und das, was jenseitig lauerte, tapfer zurückdrängten. Ja, von
diesem Orden hatte sie schon gehört. Aber
Peraindorn hatte gesagt, er habe auch schon von ihr gehört.
‚Kunststück, bei meinem Aussehen', dachte sie grimmig. Aber das bedeutete,
dass ihr Ruf ihr schneller voraus geeilt war, als sie erwartet hatte. Es würde
wohl in Zukunft nicht leicht werden, ihren
Aufträgen nachzukommen, bei denen Geheimhaltung eine immer größere Rolle
spielte. Bald würde man sie jenseits der Grenze sofort erkennen, und dann war
es mit den Scharaden vorbei. "Vielleicht sollte ich mich nach einer anderen
Möglichkeit umtun, meinen Kampf fortzusetzen..." Sagte sie leise zu sich.
Kaum hatte sie diesen Gedanken aufgenommen, da klopfte es an ihrer Tür.
"Ja?" Die Tür öffnete sich und Peraindorn trat
ein. "Ich sehe, Ihr seid wach! Habt Ihr Euch gut erholt?" "Ja,
danke, es geht schon wieder besser." Cymoril wollte sich vom Bett schwingen
und aufstehen, aber das rechte Bein, das sie aus Gewohnheit zuerst
belastete, gab nach und so fiel sie etwas plump wieder auf das Bett zurück.
"Ich sollte mir die Wunde mal wieder ansehen." ´
Ohne eine weitere Erklärung, kniete sich der Wächter hin und ergriff ihr Bein.
Er begann die Verbände zu lösen, schaute die Wunde genaustens an und nickte
dann kurz. "Ihr habt einen kräftigen Körper, der einiges vertragen kann.
Die Wunde hat sich nicht entzündet und ein Verband würde die Heilung nun mehr
behindern. Trotzdem werdet ihr das Bein erst langsam wieder an Belastung
gewöhnen müssen und nicht gleich wieder so wild aufspringen. Solltet Ihr
diesen Ratschlag nicht folgen, dann werde ich euch wohl persönlich ans Bett
fesseln müssen." Bei diesen Worten lächelte er.
Nachdem die Wunde wieder versorgt war, richtete Peraindorn sich auf.
"Wenn Ihr möchtet, dann könnt Ihr Euch etwas erfrischen, und dann mit uns
zu Mittag essen." Cymoril dachte kurz nach. "Mittag? So wenig kann ich
doch gar nicht geschlafen haben, es war doch kurz vor Mittag, als wir hier
ankamen..." Peraindorn lächelte "Wenig? Nun, wenn Ihr es so seht...
Ich nenne es mehr als 24 Stunden... Aber kommt, wenn Ihr Euch
erfrischt und etwas gegessen habt, dann können wir unsere Unterhaltung von
gestern fortsetzen. Ich warte unten auf Euch" Mit diesen Worten ging er zur
Tür und schloss diese hinter sich.
Tatsächlich. Als Cymoril den Speisesaal betrat, der nicht im Turm selbst,
sondern in einem der Nebengebäude untergebracht war, stand der Wächter
auf und winkte ihr zu. Er saß an der Tafel mit seinen Kriegern zusammen. Nichts
deutete darauf hin, dass er der Herr dieses Hofes und Anführer dieser Leute
war.
Ab und zu ruhten für wenige Augenblicke die Blicke der anderen Ordensleute auf
der Amazone, doch nie sehr lange. Wollte man nicht neugierig erscheinen?
Peraindorn wirkte nach außen ruhig und gelöst und doch konnten die
geschärften Sinne der Kriegerin in seinem Antlitz Zeichen von Schmerz erkennen.
Es war der gleiche Schmerz, den sie bei ihrem ersten Treffen in seinem Gesicht
gesehen hatte. Was bewegte diesen Mann? Was für eine Wunde hatte er erhalten,
die nicht Ruhe geben wollte?
"Bitte setzt euch, werte Cymoril." Er deutete auf den freien Platz
rechts neben sich und wartete bis sich die Amazone gesetzt hatte. Ein Junge kam
herbei gelaufen und wollte Cymoril von dem Fleischtopf in den Teller geben, der
vor ihr stand, doch der Wächter ergriff den Stiel der Schöpfkelle und füllte
selbst den Teller Cymorils, erst dann setzte auch er sich.
Schweigend sah er der Amazone zu, wie sie begann zu essen, während er seine
Mahlzeit augenscheinlich schon beendet hatte. Mit leiser Stimme fing er
plötzlich an zu sprechen und obwohl der Raum mit Leuten voll war, schienen die
Worte nur Cymoril zu erreichen.
"Die Herrin Rondra zeichnet ihre Streiter. Die meisten tragen dieses
Zeichen auf ihrer Seele, aber bei manchen belässt sie es nicht dabei und
zeichnet auch den Körper. Den einen schon von seiner Geburt an, den anderen
erst später. Wir müssen lernen mit diesem Zeichen zu leben. Hier seid Ihr
unter Freunden und niemand ist Euer Feind. Bei uns müsst Ihr nicht um
Anerkennung oder Freundschaft kämpfen. Ihr habt sie schon gewonnen. So lange
Ihr hier bei uns bleiben wollt, werden all Eure Feinde erst an uns vorbei
müssen. Hier in diesem Orden werdet ihr nach Euren Taten und an dem, was sich
in Eurem Herzen befindet gemessen. Ich sehe in Euch eine Schwester, denn ich
lasse mich nicht durch die Farbe der Augen, oder der Haut beeinflussen. Ihr tut
dies ja auch nicht, wenn Ihr mich betrachtet, oder? Bleibt bei uns, solang Ihr
es wollt."
Cymoril legte den Löffel nieder und schwieg einen kleinen Augenblick, als ob
sie eine Entscheidung treffen würde.
"Habt Dank. In der Vergangenheit begegneten mir einige Streiter der
Göttin, aber nur
selten fand ich so viel Offenheit und Aufrichtigkeit wie bei Euch. Es wäre mir
eine große Ehre, auch in Zukunft mit Euch und Euren Brüdern und Schwestern zu
kämpfen. Ich war auf der Suche, ohne es zu wissen.
Doch jetzt ist es mir klar, und ich frage mich, wie ich es so lange übersehen
konnte... Wir alle haben unsere Aufgaben zu erfüllen, und
mein Platz ist an der Seite von Kameraden, mit denen ich gemeinsam in die
Schlacht gegen unseren Feind ziehen kann. Ich habe eine Zeit lang kein Leben
geführt, dass der Göttin würdig gewesen wäre, wenn ich auch
immer gegen das Böse gezogen bin. Doch damit ist es jetzt vorbei. Ich werde,
wenn Ihr es wünscht und erlaubt, meine ganze Kraft und mein Wissen Euch und
Eurem Orden zur Verfügung stellen, und mit Euch
gemeinsam streiten, wo immer die Göttin uns auch hinführen mag."
"Willkommen Schwester." Der Wächter erhob sich und ging. Er sah nicht
noch einmal zu Cymoril zurück. Als er aber an der Tür angekommen war, blieb er
stehen und blickte sich noch einmal im Raum um. Cymoril konnte in das Gesicht
des Wächters sehen, denn sie hatte seinen Weg verfolgt. Es erschien ihr, als
würde Peraindorn den Augenblick in allen Einzelheiten in sich aufnehmen. Was
bedrückte diesen Mann?
I.Wagner / M.Gundlach