Widerstand
Zornesritter in der Warunkei (Teil II)
Aus dem Bericht des Taron Krämerkant
...Ein harter Stoß riß mich wieder in die Wirklichkeit zurück.
Ich befand mich nach wie vor auf dem Rücken meines Pferdes. Irgend jemand hatte mir ein
Seil um den Körper geschlungen und es am Sattel befestigt, auf daß ich nicht herabfalle.
Es war inzwischen vollständig hell geworden, sofern man in diesen Landen überhaupt von
Helligkeit sprechen konnte. Denn noch immer war der Himmel voller Wolken und noch immer
fiel ein feiner Regen auf uns herab.
Als ich mich umsah, erkannte ich die anderen. Neben mir ritt Gerion, das Gewand
blutverschmiert, hinter mir konnte ich Hagen erkennen. Auch seine Exzellenz, Herdan
Weisenstein und die anderen schienen wohlauf zu sein. Wir ritten auf einer kaum
befestigten Straße, die an den Seiten von Buschwerk und vereinzelten Bäumen gesäumt
war. Es war uns also gelungen zu entkommen und noch immer flatterte das Ordensbanner
trotzig im Wind.
Kaum jemand sprach und auch ich wagte nicht, das Schweigen zu durchbrechen. Die letzte
Nacht war wahrlich schrecklich genug gewesen und ich hatte in diesen kurzen Stunden mehr
an Grauen erlebt, als in meinen gesamten dreiunddreißig Götterläufen zuvor.
So ritten wir gut und gerne noch eine Stunde. Die Müdigkeit drohte mich langsam zu
übermannen und meine Glieder schmerzten. Ich war derartige Strapazen, wie ich sie in den
letzten Tagen durchleben mußte, ja nicht gewöhnt. Und so war ich mehr als erfreut, als
von Bredenhag endlich eine Rast befahl. Den Verfolgern schienen wir entkommen zu sein und
so glaubte ich, nun endlich eine Ruhepause einlegen zu können. Doch was wir auf der Suche
nach einem geeigneten Rastplatz hinter der nächsten Biegung entdecken sollten, ließ mich
alle Gedanken an Ruhe vergessen.
Unseren Augen bot sich ein Bild des Schreckens und der Zerstörung: Ein Boronsanger,
geschändet und verwüstet! Umgestürzte und mit dämonischen Zeichen beschmierte
Grabsteine sah ich ebenso, wie aufgewühlte Gräber und aufgebrochene Särge. Was mit den
Leichen geschehen war, konnte ein jeder sich vorstellen. Doch noch größer war mein
Entsetzen, als mein Blick auf eine alte Trauerbuche fiel, die an den Boronsanger
angrenzte. An dem breiten Stamm des Baumes hing der Leichnam eines Borongeweihten,
deutlich an seiner schwarzen Robe zu erkennen. Man hatte dem Ärmsten die Augen
ausgestochen und seinen Körper an den Stamm genagelt. Auch die Brust des, bis auf die
zerschlissene Robe, völlig Nackten, hatte man mit unheiligen Symbolen beschmiert, wofür
man augenscheinlich das Blut des Ermordeten verwendet hatte. Fassungslos und voller Wut
starrte ich auf den geschändeten Leichnam. Einige der Krieger stießen wüste Flüche
gegen die Vollbringer solcher Greueltaten aus, andere hörte ich leise beten.
Plötzlich stieß Laurielle Herdan an und wies aufgeregt gen Süden. Dort stand zwanzig
Meter von dem ehemals geweihten Boden entfernt eine Gestalt. Niemand von uns hatte sie
bisher dort bemerkt, waren wir doch alle fassungslos ob der götterlästerlichen Tat,
welche hier geschehen war, doch auch die Gestalt kehrte uns den Rücken zu und schien
unserer noch nicht gewahr geworden zu sein.
Als wir uns vorsichtig näherten, mußte man in diesen dunklen
Landen doch immer und überall mit Gefahren rechnen, erkannten wir, daß es sich bei der
Person um einen seltsam aussehenden Mann handelte, der vor einem frisch aufgeworfenen
Grabhügel stand. Gekleidet war er in einen Waffenrock, der in den Farben weiß und rot
gehalten war, dazu trug er dunkelrote Stulpenstiefel. Seinen Kopf zierte ein spitzen Hut,
welcher mit fünf langen, bunten Federn geschmückt war. Am Auffälligsten jedoch war die
Drehleier, welche auf seinen Rücken gebunden war. Hätten wir uns nicht in den dunkeln
Landen befunden, so hätte ich ihn ohne weiteres für ein Mitglied des fahrenden Volkes
gehalten.
Der Fremde, der offensichtlich im Gebet versunken war, blickte auf ,als wir uns näherten,
schien jedoch keinerlei feindliche Absichten zu haben. Er versuchte weder sein Schwert zu
erreichen, das neben ihm im Boden steckte, noch sein Pferd, das in der Nähe friedlich
graste. Auf unsere Fragen nach seinem Woher und Wohin antwortete er bereitwillig: Sein
Name war Thalian Jergus vom grünen Tann seines Zeichens Barde. Er hatte die Reise in
diese unwirtliche Gegend gewagt, um den noch immer göttergläubigen Menschen hier ein
wenig Freude in ihr Leben zu bringen. Mit wenig Erfolg, wie er mit tiefer Trauer in der
Stimme berichten mußte. Beim Anblick unseres Banners erhellten sich seine Züge jedoch,
fast schien es, als würde er es wiedererkennen. Und was der Barde nun zu erzählen
wußte, sollte bedeutsam für unsere gesamte Mission sein:
Thalian Jergus hatte an diesem geschändeten und ehemals heiligen Orte einen Sterbenden
entdeckt, bei dem es sich, so ließ sich aus seiner Beschreibung schließen, um einen der
vermißten Überlebenden des Greifenzuges handeln mußte. Der Barde hatte erfahren, daß
unsere, nunmehr zu Partisanen gewordenen, verschollenen Gefährten in nächster Zeit einen
Angriff auf einen der berüchtigten Totenzüge Rhazzazors wagen würden. In diesen Zügen
würden mächtige untote oder gar dämonische Wesenheiten bei Tage transportiert, um sie
vor dem Licht des gerechten Herren Praios zu schützen.
Diese Nachricht sorgte wahrlich für Aufruhr, bedeutete sie doch
nicht nur, daß die Gefährten noch lebten, nein, es bot sich zudem die Möglichkeit dem
Herrscher dieser verfluchten Lande eine empfindliche Schlappe beizubringen. Jedoch, wenn
auch der Zeitpunkt des Angriffes nahezu bekannt war, am folgenden Tage sollte es
geschehen, so berichtete Thalian, waren wir doch über den Ort des an dem der Überfall
stattfinden sollte im Ungewissen.
Seine Exzellenz reagierte umgehend. Da jedermann sichtlich erschöpft war, wurde, war der
Ort auch denkbar unpassend, zuerst einmal eine Rast befohlen. Den Körper des
bedauernswerten Borongeweihten ließ seine Exzellenz abhängen und in Decken einwickeln,
wollte man ihn doch nicht in diesem geschändetem Boden zurücklassen. Danach rief von
Bredenhag, nachdem rasch ein Lager errichtet worden war, alle Wächter des Ordens sowie
seinen Stellvertreter in sein Zelt, wo man die Lage besprechen wollte und vor allem mit
Hilfe einiger Karten den Ort des Angriffes der Unsrigen auf den Totenzug zu bestimmen. Ich
selbst vervollständigte meine Notizen und versuchte dann noch ein wenig Schlaf zu finden.
Ich machte mir große Sorgen um den wohl unvermeidlichen Kampf, der uns erwarten würde,
schließlich waren wir nur sechzehn Streiter (Thalian Jergus hatte beschlossen mit uns zu
ziehen) wobei ich mich kaum auf das Kämpfen verstand. Dennoch, trotz dieser
beunruhigenden Gedanken, fiel ich, erschöpft wie ich war, sehr bald in einen tiefen
Schlummer.
P.Hoffmann / M.Gundlach