Weidenau kommt nicht zur Ruhe!

Erneut haben fürchterliche Ereignisse ihren dunklen Schatten über die Baronie am Großen Fluß geworfen. Mußte die Fanfare doch erst vor wenigen Monden über den tragischen Tod von fünfzig Flüchtlingen auf der Flußinsel vor der Stadt berichteten, so erschütterte diesmal die Kunde von einem krebsähnlichem Monstrum die Bevölkerung des Dorfes Giegenau. Doch war das nicht der einzig mysteriöse Vorfall am Jahresanfang. Bei seinen Nachforschungen über die Geschehnisse wurde unser Berichterstatter Siegbert Federkierl auf “Rath Niallyn”, der albernischen Wacht des Ordens vom Heiligen Zorn, fündig.

 Begonnen hatte es in den ersten Praiosläufen des neuen Jahres. Zuerst hatte man die eigenartigen Todesfälle in Giegenau dem Zufall zugesprochen. Doch als dann Tage später ein Schäfer des Ortes vom Erscheinen eines riesigen Ungetüms mit mächtigen Scheren und Sicheln berichtete, zudem auch noch die völlig verstümmelten Kadaver einiger Schafe fand, wurde man hellhörig. Der Wachtkommandant des OZR, Leutnant Alysdair Ui Clandryn (neuesten Meldungen nach wurde dieser mittlerweile zum Hauptmann ernannt) beauftragte vier seiner tapferen Getreuen, diesen Gerüchten um das monströse Gezücht nachzugehen und aufzuklären. Schon drei Tage später hatten sie das Ungetüm nach erfolgreicher Spurensuche in einem lichten Hain in Nähe der Stadt Weidenau gestellt und in blutigem und todesmutigem Kampfe erlegt. Doch welch ein Staunen ergriff die Ordenskrieger, löste sich das getötete Untier vor ihren Augen zur völligen Gänze auf, nachdem es mit rasselndem Atem sein unheiliges Leben ausgehaucht hatte.
Wohl war nun die Gefahr für Leib und Leben der Weidenauer gebannt, doch woher war das Monstrum gekommen? In keinem der gelehrten Bücher fand sich Zeugnis derartiger Kreatur! Doch mag sich der geneigte Leser gedulden. Erst viel später konnte die Erkenntnis dazu erbracht werden.
Zur gleichen Zeit hatte sich ein Draconiter mit Namen Robak von Maurenbrecher, seinen Angaben nach aus dem Honinger Hesindetempel, in Giegenau eingefunden. Ermittlungen zufolge habe er selbst, durch ein Bittschreiben Seiner Hochgeboren Baron Ardis von Arodon an die Heilige Kirche der Hesinde, den Auftrag erhalten, die mysteriösen Unfälle in dem Dorf aufzuklären. Dabei habe er erkannt, daß der Dorfjunge Stipen Durenald, der auf Rath Niallyn Tag für Tag dem Gesinde zur Hand ging, über außerordentliche arkane Kräfte verfüge, derer sich der Junge selbst noch nicht bewußt war. Auf Anraten Seiner Gnaden von Maurenbrecher willigte die Mutter des Jungen ein, daß er Stipen auf eine Akademie der magischen Künste begleiten wolle, damit dessen Kräfte in die rechten Bahnen gelenkt werden. So verließen Seine Gnaden und Stipen Durenald nur wenige Stunden später Giegenau.
Doch welch eine Erschütterung erfaßte am folgenden Morgen die Dorfbewohner, als Seine Eminenz Elias Telisar Machera da Navarra, seines Zeichens ordentlicher Inquisitionsrat der Ordnung Greifenlande, in Begleitung des jungen Inquisitors Voltan von Tannhaus im Orte eintraf. Seine Eminenz tat kund, daß er einem Mörder und Frevler an den Zwölfen dicht auf der Spur wäre. Die Beschreibung des Gesuchten traf aufs Genaueste auf den Draconiter von Maurenbrecher zu, der sich unter falscher Identität das Vertrauen der Giegenauer erschlichen hatte. Laut Seiner Eminenz war er ein bösartiger Meister der schwarzen Kunst, dem er schon seit geraumer Zeit nachstellte.
Ui Clandryn stellte dem Hernn Inqisitionsrat sofort Krieger zur Seite, war ihm doch nicht nur an der Ergreifung des götterlosen Betrügers gelegen, sondern bangte sein Herz auch um das Leben des Jungen, dessen freundliches Wesen auf der Ordenswacht einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte. Noch zur gleichen Stunde machte sich Seine Eminenz in Begleitung einiger Ordenskrieger vom Heiligen Zorn an die Verfolgung des Schwarzmagiers.
So ritten sie gar nächtens hindurch, bis sie zur Praiosstund des nächsten Tages in einem Obeliskenfeld bei Emain Macha einer schauerlichen Szene gewahr wurden. Auch trafen hier die wärmenden Strahlen der Himmelsscheibe zu dieser Stunde nicht den Boden, war doch das Firmament von dichtem, finsterem Gewölk  bedeckt, aus dem ohne Unterlaß grelle Blitze zuckten. Hier nun stand der angebliche Draconiter, die Arme beschwörend erhoben und zu seinen Füßen der junge Stipen, einen Fünfstern neben einem Heptagramm in den Boden zeichnend. Die Krieger und der Inquisitor von Tannhaus zauderten nicht lang, wollten sie eiligst die unheilige Anrufung einer niederhöllischen Kreatur verhindern. So stoben sie zu dem überraschten von Maurenbrecher und ihre Klingen trafen gut. Doch welch ein Entsetzen überkam sie, als der tödlich getroffene Mann seine letzten Worte sprach. “Mama, wo ist Mama...?” soll die ersterbende, kindliche Stimme gefragt haben. Der Junge seinerseits habe sich darauf höhnisch grinsend an die Recken gewandt. So  erklärte er denn den Kriegern herablassend, daß er mit dem Jungen eine Seelenwanderung vollzogen habe, die ihm einen jungen Körper und auch dessen Kräfte gegeben habe. Mit einer einzigen Handbewegung erzeugte er in ihnen grauenhafte Ängste, die sie tatenlos zusehen ließen, wie der Beschwörer seine Untaten fortsetzte. Schon bald erhob sich aus einem Feuer fauchend die groteske Gestalt eines Greifen, umlodert von niederhöllischem Flammenzungen. Der Beschwörer in Gestalt des Kindes bot dem glosenden Gezücht die Krieger und die Inquisitoren als Opfer dar, doch war der beherrschende Zauber mittlerweile von ihnen gefallen. Die Herrin
Rondra laut preisend traten die Ordensleute dem Viergehörnten mutig entgegen, so daß sich dieser wütend gegen seinen Beschwörer stellte. Den Ausführungen der Kriegerin Zandor zufolge, wollte der Dämon seinem Meister noch einiges lehren und das am besten in dessen Domäne selbst. So riß er die Gestalt des Stipen unter seine glühenden Schwingen und verschwand mit ihm in einer hohen Waberlohe von dieser Welt.
Auf der Wacht Rath Niallyn zurückgekehrt, erklärte Seine Eminenz, daß Stipen Durenald wohl zu den wenigen Sterblichen gehört hatte, die sich in Aventurien Freizauberer nennen. Allein durch ihren Willen vermögen sie Dinge zu bewirken, ohne einen entsprechenden Zauberspruch zu nennen. Das allein nur könnte nun die Existenz des Ungeheuers zu Weidenau erklären, welches sich der Junge in seiner kindlichen Phantasie ausgedacht habe.
Auch die Todesfälle im Orte Giegenau seien Folge dieses Umstandes, waren die zu beklagenden Opfer ihm einst schimpfend für seinen Schabernack gegenüber getreten.
Seit den Ereignissen, die Dank des festen Glaubens der beteiligten Ordenskrieger an die Sturmherrin, traurige Vergangenheit sind, wurde Seine Eminenz da Navarra traviagefällig in den Mauern Rath Niallyns aufgenommen, um eine Beinverletzung auszukurieren, die er sich beim Vorgehen gegen den finsteren Beschwörer zugezogen hatte.

Siegbert Federkiel (G.Morick)