Die Geschichte mit dem Jungen namens Raslan!
Teil I

Eines Abends an einem Lagerfeuer in der greifenfurtischen Baronie Dergelstein....

Das Feuer loderte auf, als der große, hagere Mann einen weiteren Scheit nachlegte. Das Knacken und Prasseln des Holzes, das von den Flammen verschlungen wurde, hallte unnatürlich laut und die Dunkelheit umschloss die kleine Lichtung, auf der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, wie eine massive Wand.

Raslan fröstelte, während er im Schneidersitz und in seine Decke gewickelt dem Mann zusah, wie er weitere Äste in die Flammen warf und einen kleinen, leicht verbeulten Topf mit Wasser darüber befestigte. In die heraufziehende Dämmerung hatten sich Nebelschwaden gemischt und die zunehmende Feuchtigkeit ließ sein Bein schmerzen. Wieder einmal ließ er verstohlen die Hand an seinem Fuß entlang gleiten, sich versichernd, dass er wirklich zwei gesunde Beine hatte; immer noch verfolgte ihn die Geschichte Fangorns, des alten Märchenerzählers, in seinen Träumen.

Benommen schüttelte er die Erinnerungen ab. Dies lag jetzt hinter ihm. Er war jetzt der Schüler eines mächtigen Magiers, da stand es ihm nicht zu, seinen Erinnerungen nachzuhängen. Nachdenklich zog er die schweren Satteltaschen heran, öffnete mühsam die Verschlüsse und kramte nach dem Proviant, angestrengt darüber nachdenkend, worauf er heute Abend Lust hätte.

Nachdem Raslan etwas zu Essen für sich und Belan heraus gesucht hatte, bemerkte er, wie der Magier ihn beobachtete und anlächelte: "Auch ich muss ständig noch an Fangorns Geschichte denken. Solche Fähigkeiten sind schon faszinierend, es würde mich wirklich sehr interessieren, wie er das gemacht hat. Naja, aber das wird wohl noch eine lange Zeit auf sich warten lassen" stellte er aufseufzend fest.

"Wo genau kommst Du eigentlich her Raslan? Ich meine, ich kenne meinen Knappen aus Fangors Geschichte, doch was ist mit dem Jungen, der mir hier gegenüber sitzt? Erzähl doch mal!" Dabei legte Belan noch einen kleinen Holzscheit aufs Feuer und reichte Raslan eine Zuckerstange, die er in der letzten Herberge gekauft hatte.

 

Der Junge runzelte nachdenklich die Stirn, während er den Magus unverwandt ansah. "Ich komme aus Dergelstein. Wer meine Eltern waren?" Frustriert zuckte er mit den Schultern, während er sich mit seinem Ärmel über die Nase fuhr. "Keine Ahnung. Seit ich mich erinnere, wohne ich bei Mutter Lauria im Tempel. Wir waren da vierzehn. Jungen und Mädchen. Und Vater Alrik hat uns Lesen und Schreiben beigebracht. Und rechnen und so’n Zeug. Ansonsten war es eigentlich ziemlich langweilig. Morgens aufstehen und zur Herrin Peraine beten, dann Frühstück und lernen. Ab und an haben wir auf den Feldern geholfen oder im Tempel bei den Göttinnendiensten. Wenn Markt war, dann durften wir auch schon mal raus und uns umgucken, aber das war recht selten." Wieder einmal fiel Belan auf, mit welcher Ehrfurcht Raslan sich Süßigkeiten gegenüber verhielt. Er hatte die Zuckerstange überaus vorsichtig aus ihrer Papierhülle herausgezogen, dann die Augen geschlossen und das Zuckerwerk unter die Nase gehalten, den Duft tief einatmend. Danach war er mit der Zunge ein, zweimal gewissenhaft über die Süßigkeit gefahren, um sie anschließend wieder vorsichtig in den Beutel zu stecken. Belan wusste bereits aus Erfahrung, dass der Kleine die Zuckerstange von nun an wie ein Kleinod hüten würde und diese mindestens eine ganze Woche halten würde. Lächelnd schüttelte er den Kopf. Waren alle Kinder so, wenn sie knapp zehn Götterläufe hinter sich gebracht hatte?

"So was wie diesen Fangorn habe ich auch noch nie gesehen. Ich hab’ zwar schon oft von ihm gehört, bis jetzt habe ich mich aber nie zu ihm hineingetraut." Der Kleine legte plötzlich den Kopf schräg und musterte den Magier vor sich mit regem Interesse: "Nun wisst ihr alles über mich, aber wenn ich euer Knappe sein soll, dann muss ich auch alles über euch wissen. Sonst kann ich euch schließlich nicht gut dienen."

 

Belan lächelte Raslan an und korrigierte ihn: "Nicht Knappe! Tststststs." Schmunzelnd schüttelte er den Kopf, "Nein, Knappe warst Du in der Geschichte , wobei es mir immer noch unklar ist, was die Rondrianer nur daran finden, in brennend heißer Sonne ein mindestens Quader schweres Kettenhemd am Körper zu tragen... Naja, Hesindes Gaben sind nicht immer gerecht verteilt..." Sinnend blickte er in die prasselnden Flammen: "Aber wo war ich stehen geblieben? Ah ja, also, nicht Knappe sollst du sein, sondern Scholaaaar... Ich habe nämlich festgestellt, daß auch du die Fähigkeit besitzt, dir die ‚Kraft‘ zu Nutzen zu machen, wenn auch auf eine Art, wie sie der meinen fremd ist.... Aber ich schweife schon wieder ab. Also, ich werde Dich in der hohen Kunst der Magie unterweisen!" Belan sprang auf und vollführte komische, fast theatralisch wirkende Bewegungen, die der Junge mit offenem Mund verfolgte.

Als sei er aus dem Takt gekommen, verhielt der Magus plötzlich, die Hände immer noch in eigentümlicher Haltung erhoben, fuhr sich über das Gesicht und setzte sich neben den Jungen ans Feuer. Ernst sah er Raslan an, der den Blick, immer noch irritiert, erwiderte: "Aber eines mußt du dir immer vor Auge halten", die Stimme Belans war jetzt sehr leise und von fast hypnotischer Eindringlichkeit, während der Blick des Älteren bis in Raslans Innerstes zu reichen schien, "die Magie ist sehr mächtig! Darum muß du dir stets bewußt sein, dass eine große Verantwortung auf Deinen Schultern lastet. Du darfst sie nie leichtfertig einsetzen oder gedankenlos mit ihr umgehen, hörst Du?"

Auf der Stirn des Jungen hatte sich eine steile Falte abgezeichnet, während er versuchte, die Worte seines Lehrmeisters in sich wirken zu lassen. Langsam, grübelnd auf der Unterlippe kauend, nickte Raslan. Die Worte hatten ihn verwirrt, genau wie das sprunghafte Verhalten des großen Mannes. Wieder und wieder horchte er in sich hinein, verglich das, was er aus den Worten Belans filterte, mit seinen eigenen, tastenden Versuchen, in diese, seine verborgene Fähigkeit einzudringen. Plötzlich stand ihm ein Bild vor Augen: Er hatte mit einem Freund vor einigen Monden auf dem Marktplatz herumgelungert, als mehrere Berittene mit blitzenden Waffen und einer prächtig anzuschauenden Kutsche den Burgberg herauf gefahren waren. Abends hatte er Vater Alrik gefragt, ob er auch ein solches, blitzendes Schwert haben könne, wenn er groß sei, da hatte ihn der alte Geweihte ernst angeblickt und gesagt: ‚eine Waffe besitzen kann jeder, der sie sich aufgrund seines Standes und seines Vermögens leisten kann, mein Sohn. Aber um richtig damit umgehen zu können, bedarf es eines ganzen Lebens. Denn eine solche Waffe kann Leben unwiederbringlich auslöschen und dies nennen wir gemeinhin Mord. Bete zu den Göttern, mein Kind, dass dir nie eine solche Entscheidung aufgebürdet wird.‘

Er hatte Vater Alrik damals nicht richtig verstanden und das Gespräch beschäftigte ihn immer noch, doch er hatte begriffen, dass ihm Belan gerade eben etwas sehr ähnliches hatte sagen wollen. Die Falte glättete sich und er sah dem älteren Mann direkt in die Augen: "Ich glaube, ich weiß was ihr meint."

 

Belan nickte dem Jungen zu, während seine Gedanken schon weiter gesprungen waren: "Aber Du wolltest etwas über mich wissen, war es nicht so?" Überlegend blickte der Magus wieder in die Flammen: "Also, wie Du ja vielleicht schon weißt, bin ich mit der schönsten, liebreizendsten und humorvollsten Frau von ganz Aventurien, ach was sage ich da, von ganz Dere verheiratet! Sie ist die Blume in einer Wüste, der Sonnenschein in einer endlosen Nacht, die Stimme einer Nachtigall in einer Welt ohne Laute!" Während Raslan den wieder einmal abschweifenden Magus fassungslos anstarrte, hatte dieser sinnend den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen: "Sie ist so liebreizend, gefühlvoll.... Sie versteht mich einfach immer, nimmt mich so wie ich bin, mit allen meinen Fehlern und wirren Gedanken, sie ist immer für mich da..... Und ihr Körper, ohh ich sage Dir, diese Figur.."

Der Blick des Magiers traf auf das verwirrte Gesicht des Jungen, worauf Belan plötzlich stockte, als wäre er sich des Alters seines Begleiters gerade erst wieder bewußt geworden, und sich verlegen räusperte: "Ahmm, aber dazu bist Du noch zu jung! Gib mir doch bitte noch einen von den Äpfel! Danke!"

***

Raslan hatte den Kopf ein wenig schief gelegt, so dass die roten Haare im Schein des Feuers glänzten wie frisch gemünztes Kupfer und seine meerblauen Augen im Widerschein der Flammen glitzerten. Die Stupsnase gekraust verfolgte er gespannt, wie der Magier den Apfel in Gedanken an seinem Wams polierte und dann ein großes Stück herausbiss. "Ja, wie schon gesagt, bin ich verheiratet, und habe eine Tochter mit dem schönen Namen Dinaii. Sie ist jetzt knapp 2 Götterläufe alt, aber das wirst Du ja alles noch sehen, wenn wir zu Hause sind....

Apropos zu Hause. Eigentlich komme ich aus Gerasim, das liegt hoch oben im Norden, im Lande der Elfen. Dort leben auch noch mein Vater und meine Mutter, die beide den Beruf des Müllers ausüben. Zusammen mit meiner Zwillingsschwester Belana ging ich auf die dortige Magierakademie, eine Schule, die sich der Bewegung zugewendet hat. Während sie nun immer noch in Gerasim lebt, machte ich mich auf, um die Welt kennen zu lernen, um Abenteuer zu erleben und um zu lernen." Belan legte eine theatralische Pause ein und genoß sichtlich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Jungen, der geradezu an seinen Lippen zu hängen schien.

"Und ich hatte Glück! Gleich am Anfang meiner Reise, es war in der Nähe von Trallop, das ist die Herzogenstadt des Herzogentums Weiden, traf ich auf meinen besten Freund Osk Heldenhammer, Sohn des Duggan! Er ist ein griesgrämiger, zerzauster, sturer Angroschim aus dem Amboß, der vor kurzem die Weihe eines Angroschpriesters empfing und der sich eher die Zunge abbeißen würde, als etwas Nettes über mich zu sagen... Aber ich mag ihn, gemeinsam haben wir schon viel er- und überlebt! Aber auch ihn wirst Du noch kennenlernen und Du wirst sehen, er ist so ein Zwerg, der Dir ins Gesicht schreit, um Dir heimlich einige Lakritzstangen in die Tasche stecken zu können..." Den Blick des Jungen bemerkend, grinste Belan über das ganze Gesicht. Die Beschreibung seiner Abenteuer schien eine geheime Tür direkt in das Herz des Jungen geöffnet zu haben. Raslan sah ihn voller Bewunderung an, während seine Augen vor Vergnügen strahlten.

"Warum sind eure Eltern denn Müller und wo liegt dieses Gerasim und gibt es wirklich Elfen und wann treffen wir diesen Osk und warum ist er angeschient, wenn er doch ein Zwerg ist? Hat er was verbrochen, dass er in Ketten gehen muß?"

Belan, der nun seinerseits etwas verwirrt dreinschaute, antwortete etwas verdattert: "Ähm, meine Eltern sind Müller, weil schon meine Großeltern Müller waren; das ist eine Art von Familientradition."

Nachdenklich runzelte der Magus die Stirn: "Gerasim liegt, wie schon gesagt, hoch oben im Norden," dabei entnahm er seiner Tasche ein in wasserdichtes Leder eingewickeltes Büchlein aus dem er eine grobe, skizzenartige Karte von Aventurien zauberte.

"Sie einmal her," neugierig beugte sich Raslan vor, um einen Blick auf die Karte zu erhaschen die Belan in seine Richtung hielt: "hier sind wir und das hier ist Greifenfurt; dort ist das Herzogtum Weiden mit der Herzogenstadt Trallop und hier, hier oben ist Gerasim," wobei er die entsprechenden Punkte auf der Karte zeigte.

"Dort," dabei zeigte er auf das Elfenland und auf die Salamandersteine, "leben die Elfen, die es wirklich gibt, mein Sohn. Aber was sage ich da, es wird schon nicht mehr lange dauern und Du wirst eine leibliche Waldelfe kennenlernen!"

Wieder legte Belan eine theatralische Pause ein und genoss den erneuten, verwunderten Gesichtsausdrucks Raslans, bis er sich wieder an ihr Gespräch erinnerte, worauf es an ihm war, das Gesicht fragend dem Jungen zuzuwenden: "Äh, aber noch einmal zu Deiner letzten Frage," fuhr Belan verdattert fort, "wieso soll Osk denn angschient sein?"

Raslan hob den Blick von der Karte und sah seinen Meister irritiert an: "Aber ihr sagtet doch, dieser Herr Osk sei griesgrämig, zerzaust und stur, weil man ihn am Amboss angeschient hätte."

Mit verständisvollem Blick musterte Belan seinen Schüler, wobei er gerade wieder etwas Holz ins Feuer legte, einerseits, da zu befürchten stand, das Feuer werde im Verlauf ihrer Diskussion denn doch ausgehen, andererseits, wie er sich selbst eingestand, aber auch, um ein wenig Zeit zu haben, sich eine passende Antwort zu überlegen.

Sein Blick streifte das ledergebundene Notizbuch, das er dankbar zur Hand nahm. Flink blätterte er sich durch die Seiten, bis sein Finger auf ein paar Notizen und Rißzeichnungen zum halten kam. Raslan beugte sich vor und begutachtete eine Zeichnung einer großen Höhle, auf die Belan ziemlich stolz war.

Dann nahm er wieder die Karte zur Hand und zeigte auf eine Reihe verschlungener Symbole, die eine lange, dicke Linie bildeten: "Siehst Du, hier dieses Gebirge wird Ambossgebirge genannt. Und im Inneren und zum Teil auch etwas außerhalb lebt eines der ältesten Völker dieser Zeit, die Ambosszwerge.

Hierbei handelt es sich um den Namen eines Volkes." Belan konnte sich gerade noch beherrschen, nicht belehrend einen Zeigefinger zu heben. "Niemand ist da an einen Amboss gekettet!" Was um aller Höllenhunde meint dieses Kind bloß mit ‚angeschient‘? "Aber," Belan runzelte die Stirn, während er angestrengt nachdachte, dann breitete sich ein feines Lächeln auf seinen Lippen aus: "Was hältst Du denn davon, wenn Du dies Osk einmal selber fragst, schließlich ist er mit sich und der Geschichte seines Volkes groß gewor..., äh, aufgewachsen, äh, worden. Er kann und wird Dir sicherlich einige sehr interessante und spannende Geschichten erzählen...

Aber nun komm." Belan steckte die Decke, in die sich Raslan eingemümmelt hatte, um den schmächtigen Körper des Jungen fest: "Genug für heute! Du solltest jetzt etwas schlafen, denn Morgen wollen wir früh aufbrechen!"

Pflichtschuldig gähnte Raslan herzhaft und schloss dann die Augen. Belan blickte noch einmal nachdenklich auf das schlafende Kind hinab, als schon tiefe Atemzüge verrieten, dass Boron seinen schützenden Arm über Raslan gebreitet hatte. Zufrieden vertiefte sich Belan in ein dünnes Buch, um wenig später ebenfalls seinen Geist dem Herrn über den Schlaf anzuempfehlen. Er hatte einen leichten Schlaf und war sich sicher, dass er rechtzeitig erwachen würde, wenn Gefahr in Verzug war.

***

Eine neugierige Amsel riß Belan aus seinen Träumen. Augenscheinlich hatte ihn der Vogel für etwas gehalten, das unbedingt erkundigt werden sollte. Es war schwerlich zu sagen, wer von Beiden nun gründlicher erschrocken war und doch konnte Belan nicht leugnen, dass er zumindest völlig wach war,.. schlagartig.

In Gedanken sah er zu dem Deckenbündel hin, aus dem am Vorabend der leuchtend rote Haarschopf seines Schützlings geragt hatte. Alles in Ordnung. Während er in die glimmenden Holzscheite blickte, merkte Belan verärgert, dass ihn irgend etwas störte. Irgendwas passte nicht. Verwirrt runzelte er die Stirn, als es ihn auch schon in die Senkrechte riß: Raslan war verschwunden! Zwar lag immer noch die zerschlissene Decke des Jungen ihm gegenüber am Lagerfeuer, der Junge selber aber war nicht mehr da.

Belan runzelte die Stirn. Wo mochte der Junge nur sein? Ein kurzer Blick neben das knisternde Feuer zeigte ihm, dass noch mehr als genug Feuerholz vorhanden war. Das konnte es also schon einmal nicht sein. Was aber mochte sein junger Schüler dann tun?

Immer noch bedächtig um sich schauend warf der Magister seine Decke zur Seite und reckte sich gähnend. Vielleicht war Raslan ja auf die Idee gekommen Beeren zu sammeln, welch köstlicher Gedanke. Oder der gute Junge holte Wasser für das Frühstück. Ja, das mußte es sein. Belan musterte das Lager und suchte nach Spuren des Kleinen, beschied sich aber sogleich wieder der Tatsache, dass seine Kenntnisse noch nicht einmal gereicht hätten, einer Ochsenherde durch das Unterholz zu folgen.

 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier in der Provinz irgendwas lauern könnte, mit dem der Knabe nicht fertig wird. Wer entführt schon einen Waisen? Räuber hätte ich bestimmt bemerkt. Wahrscheinlich badet er gerade in irgendeinem kleinen Tümpel in der Nähe. "Raslan? Raslahan..!" Nein, Sorgen werde ich mir wirklich keine machen müssen. Was sollte dem Kind auch schon geschehen sein? "Raslaaan! Hey Freundchen, melde Dich gefälligst, wenn ich Dich rufe!" Habe ich irgend etwas gesagt, dass ihn beleidigt haben könnte? Ich kann mich nicht erinnern. Komisch, bisher hatte ich nicht den Eindruck, als sei dieses Kind sonderlich schwierig, im Gegenteil. Er hat doch immer auf’s Wort gehorcht. "Raslan. Nun habe ich aber genug vom Versteckspielen. Komm raus und lass uns Frühstücken, verdammt. Raslan."

Ohne es sich wirklich eingestehen zu wollen, hatte Belan begonnen, sich erhebliche Sorgen zu machen. Ich verstehe das nicht. Warum antwortet der Junge nicht. Vielleicht ist ihm wirklich etwas passiert. Nicht auszudenken, wenn er irgendwie bedroht wird und sich zu Tode ängstigt. Oder er ist gestürzt und hat sich am Kopf verletzt. Was, wenn er auf einen Baum geklettert und abgerutscht ist? Oder ein wildes Tier hat ihn angegriffen. Unruhig blickte sich Belan im Lager um, dann straffte er die Schultern und konzentrierte sich. Wäre doch gelacht, wozu bin ich ein Bewegungsmagier? Zu irgend etwas müssen meine Fähigkeiten doch gut sein. Schnell streifte er sich die Schuhe von den Füßen, breitete die Arme aus und begann, halblaut eine magische Formel zu deklamieren.

Langsam hob sich der hagere Körper des Magiers in die Luft, während Belan besorgt um sich blickte. Vielleicht würde ihm die erhöhte Position helfen, den Burschen zu sehen. Immer höher ließ er sich von dem Winden hinauf tragen, den Kopf fortwährend in alle Richtungen drehend. Da, endlich sah er den leuchtend roten Schopf des Knaben in einiger Entfernung zum Lager reglos am Boden sitzend, augenscheinlich gebannt auf eine Stelle keine zehn Zentimeter vor sich blinzelnd. Verwirrt folgte Belan dem Blick des Jungen und erstarrte. Vor Raslan ringelte sich eine mindestens zwanzig Zentimeter lange, grasgrüne Schlange, den aufgerichteten Kopf drohend hin und her schwenkend. Raslan schien versteinert, während die Schlange vor und zurück ruckte, das Maul wie zu einem Fauchen geöffnet und weiße Fangzähne entblößend.

Belan konzentrierte sich zwar weiterhin auf die arkanen Muster des Zaubers, der ihn wie schwerelos in der Luft hielt, schob diesen aber in den Hintergrund, wie es ihn sein Meister vor einer halben Ewigkeit gelehrt hatte. Tief sog er die Luft ein, die Augen starr auf den Jungen gerichtet, der im Bann des vor ihm aufgerichteten Tieres unmerklich hin und her schwankte. Schweißtropfen benetzten seine Stirn, als er begann, sich auf die aggressiven, arkanen Muster des nächsten Zaubers einzustellen.

Den Stab in die linke Hand wechselnd, führte er die Rechte Hand zur linken Schulter, nur um sie, nach kurzer Zeit, ruckartig, mit Zeige- und Mittelfinger auf die Schlange deutend, vorschnellen zu lassen: "AEROFAXIUS LUFTENDRALL, magisch Winde wehe prall!" Wie das Krächzen einer Krähe hing der mächtige Zauber in der Luft, um im nächsten Augenblick als wirbelsturmartiger Strahl aus den ausgestreckten Fingern des Magiers auf die Schlange zuzuschießen. Das Tier wirbelte kopfüber nach hinten in ein kleines Dickicht, während Belan schon wieder die Stimme erhob: "Raslan, lauf Junge, lauf!"

Dann schien sich die Welt um Belan zu drehen. Während ihm eine feste Faust die Luft abzudrücken schien, sank er immer tiefer, obwohl er sich verzweifelt bemühte, die Konzentration seines aufrechterhaltenen Zaubers zu erhöhen. Raslan unter ihm schien wie unter Krämpfen zu beben, während sich die Schlange aus dem Dickicht heraus wieder in die Richtung des Jungen bewegte. Während Belan noch auf das Geschehen starrte, hob Raslan eine Hand und streckte sie dem Tier entgegen, die Handflächen voraus. Tränen rannen in Sturzbächen von den Wangen des Jungen, der auf Belans Ruf nicht einmal reagiert hatte.

 

Belan erbleichte, während seine Konzentration zerstob wie Staub im Wind. Die Magie! Wie hatte er das nur vergessen können? Ihm blieb keine Zeit mehr. Während er wie ein Stein zu Boden fiel, wirbelten die Gedanken in seinem Kopf herum. Was habe ich nur getan? Ich Vollidiot! Mühsam konzentrierte er sich darauf, mit der einen Hand kryptische Zeichen in die Luft zu schreiben, während sein Mund fast automatisch machtvolle Worte formte. Die Lippen eine schmale Linie entließ er seine magische Energie in die arkanen Muster, die er um sich gewebt hatte, gerade noch rechtzeitig. Der Boden, der auf ihn zugerast war, stabilisierte sich und Belan traf zwar hart, doch nicht tödlich auf. Ein rasender Schmerz fuhr ihm durch das rechte Fußgelenk, während seine Gedanken ihm wieder voraus geeilt waren. Unbeholfen zog er seine Kleider fester um sich und humpelte, so schnell es sein schmerzendes Bein zuließ, der Lichtung entgegen.

 

Warum habe ich nicht daran gedacht? Alle Anzeichen deuteten auf das Eine hin. Die Art, wie der Junge seine Magie anwendet, ja wie er überhaupt die Magie versteht. Was ich getan habe ist unverzeihlich. Nicht auszudenken, wenn dem Jungen oder seiner Schlange...

Mit Tränen in den Augen brach Belan in die Knie, als er den Rand der Lichtung erreicht hatte, ein heiseres Flüstern auf den Lippen: "Raslan, Junge, es tut mir leid..."

Raslan hockte keine zwanzig Schritte vor ihm im Gras, den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen. Obwohl der Junge die Lippen bewegte, drang kein Laut an Belans Ohr. Die ganze Szenerie hatte etwas Unwirkliches an sich. Praios hatte die Lichtung in Bündel strahlenden Lichtes getaucht in denen der Staub zu tanzen schien, während ringsum Blumenkelche in satten Farben um die Gunst der Bienen wetteiferten. Mehrere Spatzen balgten sich auf dem dampfenden Gras um einen Wurm und zu Belans Erstaunen konnte er, sich direkt gegenüber, ein Eichhörnchen kauern sehen, dass ihn, wie es dem Magier schien, mißbilligend musterte. Unvermutet tauchte das Bild von Magistra Ondwina Andersin vor seinem inneren Auge auf, das Bild seiner ehemaligen Lehrerin der Magietheorie. Ungefähr so hatte die alte Magistra ihre Schüler fixiert, wenn diese ihren Unterricht gestört hatten. Reumütig senkte er den Blick, nur um aus seinen Gedanken aufzufahren. Du hast Dich gerade vor einem Eichhörnchen entschuldigt! Belan, so langsam solltest Du Dir um Deinen Geisteszustand Sorgen machen.

Wieder sah er auf die Lichtung und fing den Blick Raslans auf, der, immer noch im Gras sitzend, aus seiner Trance erwacht zu sein schien. So schnell er konnte, hastete Belan vorwärts, sein Bein ignorierend, obwohl ihm der Schmerz Tränen in die Augen trieb. "Raslan, Ich... kannst Du mir vergeben, ich wußte doch nicht... es tut mir so leid." Der Blick des Magiers fiel auf die kleine Smaragdnatter, die locker um den Hals des Jungen gewickelt war und ihn nicht aus den Augen ließ.

Der Blick des Jungen traf ihn völlig unvorbereitet. In den Augen, die die Farbe der kleinen Schlange zu kontrastieren schienen, stand eine seltsame Mischung zwischen Schmerz, überschäumender Freude, aber auch einem Staunen, das der ganzen Welt zu gelten schien. Obwohl die roten Tränenspuren auf Raslans Wangen immer noch erkennbar waren, schien der Junge aus sich selbst heraus zu leuchten: "Habt ihr das gesehen? Sie ist wieder gekommen! Sie hat mich gesucht und gefunden und dann hat sie mich gefragt, ob sie bei mir bleiben kann."

Belan sah Raslan ungläubig an: "Hast Du Dir weh getan, mein Kind. Und was ist mit der Schlange, geht es ihr gut. Du, das wollte ich wirklich nicht. Hätte ich das vorher gewußt. Ich Riesentrampel. warum hatte ich nicht daran gedacht? Ich..." Raslan grinste, dass Belan die kleine Zahnlücke des Jungen sehen konnte: "Oh, uns geht es gut. Hszzem war zwar ein wenig beleidigt, ich habe ihr aber gesagt, dass sie es bestimmt nicht böse gemeint haben."

 

Irre ich mich, oder funkelt mich diese Schlange wirklich die ganze Zeit abfällig an? "Also geht es Dir gut? Das ist gut. Ich.." Aufseufzend setzte sich Belan neben den Jungen ins Gras: "ich muß mich wirklich entschuldigen, aber, ich hatte solche Angst." Raslans Grinsen wurde, so das überhaupt noch möglich war, sogar noch breiter: "Oh, das ist wirklich in Ordnung. Ich habe versucht, es Hszzem zu erklären." Vorsichtig ließ er die Schlange von seinem Hals in seine Armbeuge gleiten und streichelte ihr über den Kopf. "Es hat Hszzem nämlich mächtig imponiert, dass ihr sie für so gefährlich gehalten habt." Täusche ich mich, oder lächelt mich diese Schlange wirklich süffisant an? Belan, du brauchst unbedingt Urlaub.

Belan schüttelte resigniert den Kopf: "Lass uns einfach aufbrechen, ja?" Die Schultern herabgesunken, das eine Bein nachziehend stapfte Belan zu ihrem Lagerplatz zurück, einen strahlenden Raslan im Gefolge, der geflissentlich über die schuppige Haut seiner neuen Gefährtin strich.

Belan kam sich nachgerade so deppert vor, wie ein Zwerg in der Bibliothek zu Punin... Bedächtig lenkte er seine Schritte dem Lager entgegen, während die Gedanken in seinem Kopf Fangen zu spielen schienen. Immer wieder musterte er den Jungen von der Seite, versuchte, nach Verletzungen oder Spuren der arkanen Entladungen Ausschau zu halten, mit denen er auf so unvorsichtige Art und Weise das ungleiche Paar bombardiert hatte. Doch er konnte beim besten Willen nichts erkennen und so schienen seine Schritte, mit jedem Meter, den sie sich dem Lager näherten, leichter zu werden.

"Äh Raslan," fragte Belan ganz vorsichtig, nachdem sie im Lager wieder angekommen waren, "meinst Du, dass ich sie auch einmal halten kann?" Belan, Belan. Wenn Du ehrlich zu Dir selbst wärest, dann müsstest Du zugeben, dass Du nur versuchst, Dein schlechtes Gewissen zu vergessen, indem Du Deine Neugier die Überhand gewinnen lässt. Andererseits scheint dem Jungen ja nichts passiert zu sein und wenn Du die Schlange von nahem sehen kannst, dann... Immerhin könnte sie ja wirklich verletzt sein.

Raslan senkte den Kopf und streichelte vorsichtig seine schuppige Begleiterin. Wieder schien er in stummer Zwiesprache versunken zu sein, bis ein Lächeln über sein Gesicht huschte und er vorsichtig eine Hand in Belans Richtung ausstreckte. Belan beobachtete die Bewegungen Raslans irritiert, dann streckte er seinen eigenen Arm aus und beobachtete fasziniert, wenn auch mit leichtem Unbehagen, wie der schuppige Körper der Smaragdnatter vorsichtig aus dem Ärmel des Kleinen herausglitt und sich langsam den Arm des Jungen herauf wand. Während die gespaltene Zunge immer wieder über die Haut Raslans zuckte, gab der Junge ein leichtes Kichern von sich: "Hör auf Hszzem, das kitzelt!"

Belan hatte es völlig die Sprache verschlagen. Misstrauisch beobachtete er, wie die Smaragdnatter über den Handrücken Raslans schlängelte und den leuchtend grünen Kopf vom Zeigefinger des Jungen pendeln ließ. Immer und immer wieder züngelte sie in die Luft, bis sie sich augenscheinlich einen Ruck gab und vorsichtig zu Belans Arm überwechselte. Der Magier war erstaunt, wie kühl und angenehm die Berührung der Schlange doch war. Insgeheim hatten sich ihm in den letzten Sekunden die Härchen im Nacken aufgestellt, während ihm immer wieder die Frage im Kopf herum ging, ob dies wirklich eine so gute Idee sei.

 

"Hastzehm?" Belan hielt sich die Schlange, die sich lässig um sein Handgelenk gewickelt hatte, vorsichtig vor das Gesicht. "Nein, Hszzem heißt sie." Raslan hatte die Augen zum Himmel verdreht, gleichwohl war sich Belan der vollen Aufmerksamkeit des Knaben bewusst. Der Blick des Magus schien nach innen gerichtet, als er langsam seine Augen auf die kleine Smaragdnatter an seinem Handgelenk senkte: "Ach Raslan, Du weißt ja überhaupt nicht, was für ein Glück Du mit Deiner Schlange hast..." Fragend hob der Junge den Blick von Hszzem: "Wieso?" "Naja," Belan blickte in Raslans Gesicht, während ein trauriges Lächeln in seinen Augen stand: "Du, bzw. ihr seid beide nicht mehr alleine, komme was wolle...." Verlegen wandte er sich ab, die Hand mit der Schlange vorsichtig ausbalancierend, und zerteilte die Feuerstelle mit dem einen Fuß. Ich sollte meine Gedanken nicht immer gleich aussprechen. Aber vielleicht hat auch das seine Richtigkeit. "Egal wie ihr es anstellt," nahm er den losen Faden wieder auf, "ihr habt euch jetzt gegenseitig... Du wirst schon sehen!"

Belan sah in das nachdenkliche Gesicht des Jungen, dann straffte er sich und hob die Schlange auf seinem Arm wieder auf Augenhöhe.

"Hszzem" wandte er sich an Raslans Vertraute, den ungewohnten Silben vorsichtig nachhorchend: "es tut mir wirklich sehr leid, das mit dem Angriff. Aber ich hatte einfach um Deinen Freund, der schon wie ein Sohn für mich ist, wahnsinnige Angst. Ich hoffe, dass Du mich verstehst, es wird jedenfalls nicht wieder vorkommen..."

 

Die starren Augen der Schlange schienen den Magus zu fixieren und erst ein leises Schluchzen ließ Belan auffahren. Verblüfft sah er auf Raslan, der ihn aus weit aufgerissenen Augen anstarrte, das Gesicht abwechselnd rot und bleich, während die Unterlippe des Jungen zitterte. Auch die Schlange schien seinen Blicken zu folgen, während Raslan immer noch wie erstarrt schien. Besorgt furchten sich die Brauen des Magiers, als ihm klar wurde, was er da gerade gesagt hatte. Raslan ist ein Waisenjunge. Er hat keine Eltern, keine Familie,... gut, seit wenigen Augenblicken eine Schlange, aber das war wohl auch alles an persönlichem Besitz. Selbst die Sachen, die der Kleine trägt, scheinen schon so oft geflickt zu sein, dass kaum noch der Originalstoff vorhanden ist. Und dann sagst Du, dass er wie ein Sohn für Dich ist...

Fast automatisch schloss sich Belans freier Arm um den schmächtigen Körper des Jungen, während er die ruhigen, lidlosen Augen der Schlange auf sich ruhen fühlte. Der rothaarige Kopf versank fast in Belans Robe, während Raslan am ganzen Körper zu zittern schien. Vorsichtig legte er seine Hand auf den strubbeligen Haarschopf und beobachtete, wie die Schlange langsam an seinem Handgelenk herabglitt und sich dem Jungen um den Hals legte, der unter dem leichten Streicheln des Magus zur Ruhe kam.

Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, bis Raslan sich vorsichtig aus Belans Umarmung wand und still zu seinem Beutel zurückkehrte, um aus diesem ein Taschentuch zu kramen und sich entschlossen die Nase zu schnäuzen. Belan lächelte und setzte sich auf einen großen Stein, neben seinen eigenen Beutel.

***

Endlich konnte er sich um seinen Fuß kümmern. Der Knöchel war zu einem riesigen Ei angeschwollen, während irgendwo im Innern des Fußes ein kleiner Kobold sitzen musste, der mit einem riesenhaften Hammer in genau abgezirkelten Dosen rhythmisch gegen den Knochen zu schlagen schien. Grimmig richtete der Magus seine volle Aufmerksamkeit auf den Schmerz und versenkte sich in den uralten Heilzauber des Balsam Salabunde.

Raslan hatte in der Zwischenzeit damit begonnen, ihre Besitztümer in ihre Taschen zu verstauen, während er ein für Belans Ohren leider einseitig bleibendes Streitgespräch über den Sinn und Unsinn des Reitens zu Pferde mit Hszzem führte.

"Ach Raslan, es könnte doch sein, dass Du meinen Freund Osk, den grummeligen Zwerg, von dem ich Dir gestern erzählte, früher als gedacht zu Gesicht bekommst. Mir ist nämlich eingefallen, dass er hier in der Nähe etwas zu erledigen hatte und wenn die Götter es gut mit uns meinen, dann werden sich unsere Wege eventuell kreuzen...." dabei schüttelte Belan seine Decke aus, rollte sie ein und band sie auf sein Pferd. Der Junge hob den Kopf, während er seinen Leinenbeutel zuschnürte. "Der Angeschiente? Klasse. Das wird bestimmt ganz spaßig. Wo sollte er denn hin? Ich kenne mich nämlich hier überhaupt nicht aus. Da wird das mit dem Treffen wohl recht schwierig, oder?" In Gedanken kratzte sich der Junge an der Nase, pflückte dann seine Schlange von einem Stein, der im prallen Praiosschein lag und stopfte sie in sein kurzes Leinenhemd.

"Ach was, Osk ist momentan bei seinen Verwandten in den Finsterkoppen, das ist jenes Gebirge dort drüben," Belan wies mit einer Hand auf eine Kette dunkler Erhebungen, die gegen den Praiosschein am Horizont auszumachen waren: "Auf den Rückweg, so meinte er, wolle er eventuell über Greifenfurt reisen.... Und schwierig wird das Zusammenfinden auch nicht, solange Osk nur Rückenwind hat, he, he" bei diesen Worten musste Belan kurz lachen, während ihm Raslan einen verständnislosen Blick zuwarf: "Was hat der Wind denn damit zu tun?"

"Ha, ha..." lachte Belan herzhaft, "das wirst DU schon sehen mein Junge, lass Dich einmal überraschen.... Aber jetzt komm!" Belan verstaute die letzten Dinge in den Satteltaschen, stieg auf sein Pferd auf und nahm dann den Fuß aus dem Steigbügel. Raslan, der dieweil seinen abgewetzten Leinenbeutel auf den Rücken geschnallt hatte, trat an das Pferd heran, die Zungenspitze vor Konzentration zwischen den Zähnen, und hob vorsichtig das Bein. Belan beugte sich herunter und griff nach der Hand des Jungen der in einer unmöglichen Verrenkung an der Seite des Pferdes hing. Der Blick, den dieses dem Geschehen zuwarf, zeugte von der fulminanten Erziehung die es genossen hatte. Augenscheinlich hatte es sich damit abgefunden, dass dieser unmögliche Magier eh machen würde, was er wollte.

"Mal sehen," Raslan hatte die dünnen Ärmchen um die Hüften des Magus gelegt, während dieser dem Pferd eine leichte Parade gab: "vielleicht kommen wir auch an einigen Orten vorbei, in denen wir einige anständige Kleider für Dich kaufen können. Jetzt halte Dich und Hszzem gut fest, es geht los!!!"

Ein übermütiger Satz, dann ritten die zwei zufrieden dem neuen Morgen entgegen.

***

Gegen Mittag erreichten sie ein kleines Dörfchen, zehn kleine, gedrungene Katen, zwischen denen spielende Kinder und Federvieh herumwuselten. Ein kleiner Boronanger begrenzte das Dörfchen zu einem schmalen Bachlauf hin, an dessen Ufer ihr Pfad schon seit einer geraumen Weile entlanggegangen war. Ziemlich in der Mitte des Dorfes stand ein etwas größeres Gebäude, von dessen Vordertür an dünnen Ketten ein hölzernes Schild von einem vorstrebenden Balken hing, das sich in der leichten Brise quietschend hin und her bewegte. Obwohl es noch früh am Tage war, ließ der Lärm, der durch die halb geöffnete Tür nach draußen scholl, auf einen regen Besuch schließen. Unwillkürlich knurrte Raslans Magen und auch Belan gestand sich zerknirscht ein, dass er über die Ereignisse des Morgens ganz vergessen hatte, dass sie ja noch nichts gefrühstückt hatten...

Es bedurfte keiner weiteren Worte. Belan band das Pferd neben einem alten Steintrog fest, in den aus einer hölzernen Rinne frisches Wasser rieselte, während sich der Junge bereits gegen die Eingangstür stemmte.

Als Raslan das Gasthaus betrat schlug ihm eine Luft entgegen, dass dem Jungen die Tränen in die Augen stießen. Die Schankstube war angefüllt mit Menschen unterschiedlichsten Alters, während der dicke Wirt und eine Schankmagd durch den Raum hasteten, begleitet von den Rufen der Gäste. Mehrere Bauern spielten an einem Tisch Karten und machten wohl eine kleine Mittagspause, bevor sie wieder auf die Felder gehen mußten. An einem anderen Tisch in der Mitte des Raumes saßen zwei alte Männer, die sich mit hochroten Gesichtern gegenseitig anschrien. Erst auf den zweiten Blick bemerkte der Junge, der sich instinktiv hinter eine Stuhllehne geduckt hatte, dass die Zwei wohl einfach nur stocktaub waren.

Auch einige Durchreisende hatten es sich augenscheinlich nicht nehmen lassen, hier für den Mittag Quartier zu nehmen, sich zu erfrischen und ein warmes Essen zu sich zu nehmen. Das Gasthaus war recht einfach gehalten, die Einrichtung hatte seine besten Zeiten wohl schon hinter sich, dennoch vermittelte die Gaststube eine saubere und gemütliche Atmosphäre. Der Duft von Schweiß vermischte sich mit dem würzigen Geruch nach heißem Eintopf, dass Raslan das Wasser im Mund zusammenlief. Mit großen Augen musterte er die vielen Menschen, die sich hier versammelt hatten, bedacht, dass ihn der Wirt, der wie ein Dreschflegel in der Gaststube herumwirbelte, nicht umrannte.

Plötzlich blieb der Blick des Jungen an einer Gestalt hängen, die es sich in einer Ecke des Raumes bequem gemacht hatte. Obwohl diese Gestalt die Kleinste in dem gesamten Raum zu sein schien, ja sogar vielleicht noch ein wenig kleiner als der Junge selbst war, schien sie doch den meisten Platz zu brauchen. Es handelte sich um einen recht kleinen Mann, der dennoch mit seinen muskulösen Schultern und seiner breiten Brust recht imposant wirkte. Schwarze, lockige, schulterlange Haare klebten etwas plattgedrückt und feucht auf seiner Stirn und über den gesamten Kopf zog sich eine Narbe bis in die Stirn und bescherte dem Mann eine Art künstlichen Scheitel.

Raslans Nase kräuselte sich, dass die Sommersprossen auf seinem Gesicht sich zu kleinen Inseln zusammenschoben, während der Junge angestrengt nachdachte und den Zwergen nicht aus den Augen ließ. Dessen Gesicht schien wie aus Stein gemeißelt zu sein auch wenn man nicht viel davon erkennen konnte. Buschige Augenbrauen und ein dichter Bart, der bis auf die Brust reichte und zum Teil zu kleinen Zöpfen geflochten war, verdeckten es zum größten Teil, lediglich die lange und riesige Nase und braune, große Augen, die etwas Unbestimmtes, nicht richtig Fassbares ausstrahlten, stachen daraus hervor.

Verwundert erkannte Raslan, dass der Zwerg in einen weißen Wappenrock gekleidet war, unter dem ein Kettenhemd hervorlugte. Die Augen des Jungen verengten sich zu Schlitzen, während er angestrengt zu erkennen versuchte, was auf dem Wappenrock außer dem roten Leuen und einem diesem gegenüber stehenden roten Einhorn noch angebracht war.

Ein lautes Scheppern schreckte Raslan aus seinen Gedanken. Geschickt duckte er sich unter einem Tablett durch, das die Schankmagd gerade durch die Gaststube balancierte, dann sah er wieder zu dem Tisch herüber, an dem es sich der Zwerg bequem gemacht hatte. Neben einer großen Laterne, die helle Strahlen über das geschrubbte Holz des Tisches warf, lag ein schwerer Helm, an dem an beiden Seiten ein Horn befestigt war. Über der Lehne eines Stuhles neben dem Zwerg hing ein dicker Gürtel, von dem ein prall gefüllter Beutel, ein verzierter Hammer und ein breiter Dolch baumelten, und auf dem Boden daneben lag ein großer schwerer Rucksack, der den Anschein erweckte gleich aus allen Nähten zu platzen.

Ein weiterer großer Sack, der ebenfalls prall gefüllt war, und eine dicke Taurolle, die unachtsam darauf geworfen worden war, komplettierten das Bild, das Raslan sich aufgrund der Erzählungen seines Lehrmeisters von reisenden Zwergen gemacht hatte. Instinktiv suchte er nach irgendwelchen Fesseln, konnte aber keine finden. Schade. Ich hatte schon gehofft, das wäre dieser Osk. Aber der is ja nicht angeschient. Das Gesicht umwölkt wandte sich Raslan wieder dem Eingang zu und stemmte sich gegen die schwere Holztür. Belan hatte bestimmt mittlerweile das Pferd versorgt und Raslan fürchtete sich ein bisschen, allein in der Gastwirtschaft.

Der Zwerg hatte unterdessen den gefüllten Krug in die Hand genommen und beäugte kritisch seinen Inhalt. Ein unwilliges Murren entrang sich seiner Kehle, während sich die Augenbrauen wie zwei buschige Raupen zusammenschoben: "WIRT!" Die tiefe, donnernde Stimme zerriss den Lärm der Gaststube mühelos. "Was soll das sein? Erzähl mir nicht, dass dies Bier sein soll, sonst muss ich der schlechten Qualität wegen Weinen! Bitte lüg mich an und sag, du hast den Krug eines anderen Gastes, der Wasser haben wollte, mit meinem vertauscht!"

Belan hatte gerade die Tür passiert, die ihm Raslan mit vor Anspannung gerötetem Gesicht aufhielt, als die Stimme des Zwergen die Unterhaltungen der Gäste unterbrach. Ein Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Magiers der sich vorsichtig in der Gaststube umsah, während er Raslan auf einen freien Tisch in einer Ecke der Gaststube zuschob. Phex hat es wahrlich gut mit uns gemeint. Nur mühsam konnte er sich beherrschen, nicht auf den Zwerg zuzurennen und ihn zu umarmen. Wie lange hatte er Osk schon nicht mehr gesehen. Aber ihm war eine so gute Idee gekommen, dass er sich diese Chance nicht verderben wollte. Den Zwerg, der lauthals mit dem Wirt über die Qualität des Bieres stritt, nicht aus den Augen lassend wies er Raslan an sich hinzusetzen und nahm dem Jungen gegenüber Platz.

Endlich wandte sich der Wirt mit hochrotem Gesicht von seinem Gast ab und strebte einer Tür zu, hinter der Belan die Küche vermutete. Den Schalk in den Augen begann Belan daraufhin, leise vor sich hin murmelnd, mit seiner Rechten einige kleine Bewegungen zu vollführen, die Raslan neugierig verfolgte.

Immer noch ärgerlich hatte der Zwerg den Humpen wieder auf dem Tisch abgestellt, als ihn ein kratzendes Geräusch aus seinen Gedanken schreckte. Die Augenbrauen vor Unmut gesträubt wanderte der Blick des Zwergen über den Tisch, um an seinem Helm hängen zu bleiben, der in kleinen, kurzen Sätzen wie von Geisterhand bewegt auf den Tischrand zuhüpfte.

Belan musste sich beherrschen nicht laut loszuprusten, als er den misstrauischen Blick seines Freundes sah. Osk hatte mittlerweile an seinen Gürtel gegriffen, um den Dolch aus seiner Scheide zu nesteln, während er den Kopf auf die Tischplatte gelegt hatte, um unter den Rand seines Helmes zu linsen. Den Dolch in die andere Hand wechselnd spannte Osk seine Muskeln an und schlug dann mit aller Gewalt auf den Helm. Den Dolch zum tödlichen Stoss erhoben hob er anschließend in einer einzigen, fließenden Bewegung den Helm von der Tischplatte, bereit alles, was auch immer sich unter der Kopfbedeckung verstecken sollte, durch eine schnelle Handbewegung Boron zu überantworten.

Die Tischplatte präsentierte sich ihm mit blankgeschruppter Leere und auch ein schneller Blick in den Helm offenbarte keine Erklärung für die seltsamen Bewegungen, die die Kopfbedeckung eben noch vollführt hatte. Osks Stirn krauste sich, während es in seinem Hirn sichtlich zu arbeiten begann. Dann, das Gesicht immer noch nachdenklich gefurcht, hob der Zwerg plötzlich den Kopf und ließ seinen Blick durch die Gaststube wandern. Er kannte nur eine einzige Person, die sich derartige Späße mit ihm erlaubte. Und wirklich, während sich ein breites Grinsen auf Osks Gesicht ausbreitete, traf sein Blick auf Belan, der ihn immer noch schmunzelnd von seinem Ecktisch aus beobachtete. Das zerfurchte Gesicht des Zwergen schien vor Freude zu glühen, während er Belan bedeutete, sich zu ihm an den Tisch zu setzen.

 

Balan erhob sich, bedeutete Raslan, ihm zu folgen und schritt quer durch die Gaststube auf den Tisch des Zwergen zu. "Du wirst auch nie erwachsen!" Osk streckte seinen Fuß aus und schubste einen Stuhl in Belans Richtung, der schlitternd vor dem Zauberer zum Stehen kam. "Wer sonst als die Nervensäge von einem Magier treibt solche Scherze mit einem unschuldigen Zwerg, der nichtsahnend nur etwas essen möchte." Das freudige Grinsen strafte den harschen Tonfall des Zwergen Lügen, während dieser, in Richtung des Wirtes gewandt anfügte: "UND EIN ANSTÄNDIGES BIER BRAUCHT!"

Belan nahm Platz, die Augenbrauen irritiert gehoben: "Sag einmal, bist Du gewachsen?" Den Blick auf den Wanst des Zwergen gerichtet legte Belan den Kopf ein wenig schief: "Ja, ich glaube Du bist gewachsen." "Dafür ist an dir kaum noch was dran. Du wirst ja immer dürrer. Du solltest mal gescheit essen!" Freundschaftlich klopfte Osk Belan so stark auf die Schulter, dass dieser zusammenzuckte. Dann winkte Belan Raslan herbei, der unschlüssig im Hintergrund gestanden und das herzliche Wiedersehen der Freunde gespannt beobachtet hatte.

"Raslan, komm und setz Dich zu uns, Du wolltest doch einmal einen leibhaftigen Angroschim kennen lernen.. Na, jetzt hast du die Möglichkeit dazu..." Den irritierten Blick des Zwergen bemerkend, wies Belan auf den rothaarigen Knirps, der gerade am Tisch Platz genommen hatte und meinte voller Stolz und als würde dies bereits alles erklären: "Das hier ist Raslan." Dann wandte er sich zu dem Jungen um, "und das ist mein bester Freund, Osk Heldenhammer, Sohn des Duggan, Geweihter des Herrn Angrosch und Wächter des Ordens des Heiligen Zorns der Göttin Rondra."

Raslan war unter dieser Liste an Titeln sichtlich in seinen Stuhl zurückgesunken und hielt den Blick ehrfürchtig auf die Tischplatte gesenkt. Unschlüssig rutschte er auf dem harten Sitz herum, bis er sich einen Ruck gab, vom Stuhl sprang und um den Tisch trabte, vor dem Zwerg rutschend zum Stehen kam und den strubbeligen Haarschopf in einer kleinen Verbeugung senkte: "Es freut mich, euch kennenzulernen, Sir. Magister Belan hat mir schon viel von euch erzählt." Dann schielte der Junge unter den roten Strähnen hervor auf das Gesicht des Zwergen.

Osk sah den Jungen scharf an, dann hob er fragend die Augenbrauen: "Du Belan, hat mich der Junge wirklich mit Sir angesprochen?" Während ein belustigtes Funkeln in den Augen des Magus aufblitzte, blieb sein Gesicht bar jeder Regung: "Nun, ich denke, ich habe so etwas gehört, obwohl ich mir da nicht sicher bin. Natürlich wäre Hochwürden die angemessenere Bezeichnung, oder vielleicht Hochgeboren? Sag, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis standest du noch mal zu eurem Bergkönig? Edler Herr würde es auch treffen, immerhin bist Du ein Ritter der Göttin... nun, aber ich denke die geistliche Würde dürfte am höchsten zählen."

Raslan war unter diesem Titelwirrwarr sichtlich zusammengezuckt und seine meerblauen Augen hatten einen erschreckten Ausdruck angenommen. Ängstlich starrte er in das Gesicht des Zwergen, das über Belans Kommentar einen verkniffenen Ausdruck angenommen hatte. Osks dunkle Augenbrauen schienen sich im Licht der Laterne zu sträuben und die Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Raslan schien in sich zusammenzusinken, während die schmächtigen Schultern in Erwartung eines Donnerwetters herabsanken. Der Zwerg indessen war immer noch in seine Überlegungen verstrickt, wie er es diesem frechen Magus am effektivsten heimzahlen könne. So dauerte es einen kurzen Moment, bis er den Jungen wieder in den Blick nahm.

Das kleine Häufchen Elend vor sich wahrnehmend wich im Augenblick eines Lidschlages aller Zorn aus den Zügen des Zwergen und machte einer tiefen Bestürzung Platz. Na prima. Belan, wenn ich dich zu fassen bekomme... Wenn der Kleine jetzt in Tränen ausbricht, wird mir dieses lange Elend das büßen. Als ob er nicht wüsste, wie hilflos ich mich im Umgang mit Kindern fühle. Der Zwerg druckste herum, während sein Blick weich wurde: "Hör mal, ich bin kein Sir. Nenn mich einfach Osk, so wie alle meine Freunde. So wie es aussieht, bist du ein Freund von Belan. Alle seine Freunde sind auch meine Freunde, einverstanden? Wie war doch gleich noch mal dein Name?"

Raslan war puterrot angelaufen, während Belan sich plötzlich brennend dafür zu interessieren schien, wo denn nur die Schankmagd bleiben mochte. Und wieder hast du es geschafft, Belan. Kaum hast du deinen besten Freund eine halbe Minute gesehen, bringst du ihn mal wieder in Verlegenheit. Und alles nur, weil du deine Klappe nicht halten kannst und jede dumme Bemerkung, die dir durch dein Hirn schleicht, sofort loswerden musst.

Der Junge hob wieder den Kopf: "Uh... hmmm... ich heiße Raslan, Sir, ähh... äm... tschuldigung." Verlegen wippte der Junge von einem Bein auf das andere, während er zu dem Zwerg hoch linste. Osk sah Belan durchdringend an: "Hast du mir da was verschwiegen? Immerhin kennen wir uns schon lange genug. Warum hast du nie erwähnt, das du einen Sohn hast? Sonst ist dir doch auch nichts peinlich." Belan rang sichtlich nach Worten. "Woher willst du das denn schon wieder wissen? Einen Sohn soll ich haben; du weißt doch, dass Alina noch einige Monate braucht... Ach so, Du meinst Raslan hier..." Belan spürte den Blick des Jungen auf sich, während er den Zwerg fixierte: "Raslan ist mein Schüler. Und wenn er recht fleißig und diszipliniert ist, dann wird er alles von mir lernen, was er als Magier wissen muss." Der Zwerg brummelte, während ein verstohlenes Grinsen über sein Gesicht huschte: "Das hätte ich mir denken können. Immerhin besitzt der Junge Manieren, da kann er kaum dein Sohn sein." Während Raslan offensichtlich überlegte, ob er dies nun als Kompliment werten solle, bemühte sich Belan um einen Themenwechsel: "Sag mal, ich dachte, du würdest etwas länger bei deinen Verwandten bleiben."

Ein leises Räuspern ließ Belan aufschauen. Die Schankmagd, deren dunkle, hüftlange Haare im orangenen Licht schimmerte, das durch die kleinen Butzenfenster kam, war an ihren Tisch getreten, ein großes Tablett balancierend, und sah sie erwartungsvoll an: "Was darf ich den Herren noch bringen?" Mit ihrem einfachen, schwarzen Rock und einer weißen Leinenbluse bekleidet, sah sie zweifellos recht hübsch aus, wobei sie den anklagenden Blick, mit dem der Zwerg seinen Bierhumpen musterte, geflissentlich übersah. "Oh," Belan schenkte ihr ein Lächeln: "Ein ordentliches Frühstück für alle wäre keine schlechte Idee." Osk lachte auf: "Ja, aber macht es reichhaltig für die Beiden hier. Sie wollen noch groß und stark werden." "Und zusätzlich brauchen wir noch etwas Milch für meinen jungen Freund hier und ein anständiges Bier für meinen kleinwüchsigen Freund und etwas Wein für mich..." Das Mädchen schenkte Raslan, der gerade wieder auf seinen Stuhl geklettert war, ein gewinnendes Lächeln, dann nickte sie und eilte in die Küche.

Belan warf ihr noch einen letzten Blick zu, dann wandte er sich wieder an seinen Freund: "Ich hätte nie gedacht, dass ich Dich wirklich hier treffe, obwohl ich an die Möglichkeit gedacht hatte. Zufälle gibt’s..." Osk grinste: "Wenn du meine Leute kennen würdest, dann würdest du dich nicht wundern, dass ich meine Besuche so kurz wie möglich halte. Sobald es mir einigermaßen schicklich schien habe ich wichtige Pflichten vorgeschoben und mich davon gemacht. Meine Kusine hat eine Stimme, neben der wirkt eine Gans wie eine Bardin. Und ihr Mann kann weder Bier brauen noch hat er Geschmack genug, um gutes Bier zu kaufen. Das Gesöff zieht dir die Schuhe aus, widerlich sage ich dir." Osk fröstelte, hob dann seinen Krug an die Lippen und leerte ihn mit einem Zug. "Da lobe ich mir sogar dieses Gebräu hier, aber erzähle dem Wirt nichts davon." Ein verschmitzter Blick streifte Raslan, der dem Gespräch aufmerksam lauschte.

"Und was machst du hier, alter Scharlatan? Und erzähle mir nicht, dass du hier Urlaub machst." Belan zuckte die Achseln: "Die Baronin Gunilde von Dergelstein will dem Orden eine Burg belehnen und ich hatte den Auftrag, mich vor Ort mal ein wenig umzusehen. Auf dem Rückweg soll ich in Schwertsleyda Dimiona von Keres und Bardo von Arvesquell treffen und nach Gallstein zurückbegleiten. Also sind Raslan und ich von Dergelstein aus immer in die Richtung geritten, wo der Wald am dichtesten ist und wie du siehst, wir hatten Erfolg. Dich haben wir schon gefunden und wenn wir so weitermachen, dürften wir auch bald in Schwertsleyda sein."

Osk sah zu Raslan herüber, dessen Nasenspitze sich vor Vergnügen gekraust hatte: "Und du willst wirklich Magier werden, mein Junge? Vielleicht solltest du lieber ein Krieger werden. Das mit der Magie sollte man lassen. Damit kann man doch sowieso nur Unsinn treiben und wenn es ganz dick kommt, dann wird man so wie der da." Belustigt deutete er auf Belan, der eine gespielte Entrüstung zur Schau trug: "Herr Osk, setz dem Jungen mal keine Flausen in den Kopf, sonst wird er ja nie gro... äh... erwachsen..." Mit jedem Wort schien sein Grinsen mehr in die Breite zu wachsen. Osk seufzte scheinbar gequält auf.

"Womit habe ich dich nur zum Freund verdient? Aber Spass beiseite. Dimiona und Bardo sind also auch in der Nähe. Was gibt es denn eigentlich Neues? Ich hatte in letzter Zeit so viel um die Ohren, da scheint mir einiges durch die Lappen gegangen zu sein." Ein vielsagender Blick traf Raslan, der den Wortwechsel der Haudegen hingerissen verfolgt hatte und nun ertappt auf die Tischplatte schielte.

"Was es Neues gibt, fragst du," Belans Gesicht hatte einen ernsten Ausdruck angenommen, "nun ja, ich habe Thalian wieder getroffen, erst gestern, nicht weit von hier. Aber Neuigkeiten habe ich wohl auch keine für dich. Es sei denn, du interessierst dich für die neue Mode im Dergelsteinischen oder den Gesundheitszustand der Baronin. Nichts Weltbewegendes also. Aber ich habe jetzt einen Schüler, wie du siehst." Belans Brust hatte sich ein wenig gehoben, während er stolz zu Raslan hinübersah. "Am kuriosesten ist dabei aber, wie wir uns kennengelernt haben. Das hast du noch nicht erlebt!"

Belan wurde durch die Schankmagd unterbrochen, die ein riesengroßes Tablett auf den Tisch hievte, auf dem sich Brot, Butter, Wust und Eier stapelten. Zwei kleine Töpfchen mit Honig und Marmelade vervollständigten die Auswahl. Einfache Holzbretter und die bestellten Getränke wurden vor Belan und seine Begleiter gestellt, wobei Osk misstrauisch an seinem Krug roch, um angenehm überrascht einen Schluck zu probieren. "Na also, wer sagt’s denn. Davon dann noch ein kleines Fass, wenn es keine Umstände macht." Der Blick der Schankmagd beeindruckte den Zwergen überhaupt nicht und so drehte sich die junge Frau die Augen zum Himmel erhoben um und steuerte wieder die Küche an.

Belan hob um Aufmerksamkeit heischend die Hand und senkte die Stimme, während der Zwerg geräuschvoll seinen Krug leerte: "Also das Ganze fing ebenfalls in einer Taverne an, mitten in Dergelstein. Da war nämlich gerade ein großes Fest im Gange und in der Taverne sollte ein großer Geschichtenerzähler namens Fangorn auftreten. Ein ziemlich bekannter Mann im Greifenfurt’schen." Osk runzelte die Stirn und sah Belan gespannt an. "Wenn du mal irgendwo vorbeikommst und hörst, dass er etwas erzählen will, dann solltest du das unbedingt tun, Osk. Es lohnt sich wirklich."

Während Belan seine Geschichte begann, griff Raslan verstohlen in seine Tasche und zog einen etwas ledierten Eierbecher hervor, in den er vorsichtig etwas von seiner Milch schüttete. Belan, der die Bewegungen des Jungen aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, raunte Osk leise zu: "Raslan hat eine kleine Freundin. Erschrick also bitte nicht und bleib am besten ganz ruhig." Dann überlegte er kurz und fuhr in seiner Erzählung fort: "Ich kann dir wirklich nicht sagen, wie er es gemacht hat. Aber wir alle hatten den Eindruck, als seien wir in diese Geschichte hineingeraten und da war wirklich jeder der in dem Schankraum saß beteiligt, Raslan eben auch. Und während Fangorn erzählte und erzählte, da erlebten wir das alles mit, als wäre diese Erzählung völlig real und wir mittendrin. Na, ja, gegen Ende stellte sich auf jeden Fall heraus, dass Raslan ein Waisenkind ist und dazu magisch begabt. Also habe ich ihn gefragt ob er lernen will seine Begabung zu nutzen und so bin ich zu meinem Schüler gekommen."

Osk hörte geduldig den Erzählungen Belans zu die, je weiter die Geschichte voranschritt, um so verworrener wurden. Belans Hang alle Einzelheiten aufzuzeigen und noch der kleinsten Begebenheit einen angemessenen Platz zu sichern machte es dem Zwergen schwer, dem Handlungsverlauf zu folgen. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, Osk höre überhaupt nicht zu, so abwesend wirkte sein grimmiges Gesicht und doch zeigten die Zwischenfragen, dass er Belan Geschichte aufmerksam folgte.

 

Während Belan mit wachsender Begeisterung von seinen Erlebnissen in Dergelstein erzählt hatte, war Hszzem vorsichtig aus ihrem Versteck im Hemd des Jungen herausgekrochen und hatte sich über den Arm des Jungen auf den Tisch gleiten lassen. Mit der gespaltenen Zunge nach allen Richtungen angespannt witternd, hatte sie sich zu dem kleinen Becher geringelt und damit begonnen, die Milch aufzuschlecken. Raslan hatte seine Arme, einem Schutzwall gleich, um die kleine grüne Schlange gelegt und spähte nach allen Richtungen. Nicht auszudenken was passieren würde, wenn man Hszzem entdeckte, wie sie friedlich auf dem Tisch lag und trank.

Belan strahlte vor Glück und Freude wie ein Feuer im Dunkeln, dabei stumpte er Osk sanft mit seinem Ellenbogen an und deutete mit einem Nicken in Raslans Richtung: "Siehst Du was ich meine? Du weißt gar nicht wie glücklich ich mit Raslan bin. Die Schlange heißt übrigens Hszzem und ich vermute stark, dass der Junge in die gleiche Richtung wie Sylvana geht.... Naja, schau doch nur, wie liebevoll er sich um sie kümmert. Ist das nicht schön? Hszzem ist übrigens ebenfalls sehr lieb," Belans Gesicht nahm einen bekümmerten Ausdruck an: "Auch wenn ich Hszzem erst etwas falsch einschätzte..."

Der Zwerg hatte indessen die kleine Schlange verwundert beobachtet, die Augenbrauen fragend erhoben. Die Selbstverständlichkeit, mit der der Junge seine grüne Begleiterin fütterte, schien ihn allerdings zu beruhigen. Grimmig nickte er zu Belan hinüber: "Ja, es sieht wirklich so aus, als ob er so etwas ähnliches wie Sylvana ist. Quasi eine menschliche Geodin! Was soll’s. Solange das Vieh von mir fern bleibt ist ja alles in Ordnung. Ich kann Schlangen nicht leiden, genauso wie Spinnen. Nein, Spinnen sind schlimmer, oder doch nicht? Na ja egal, halt das Tier nur weg von mir!" Raslan, der dem Gespräch mit gerunzelter Stirn gefolgt war, nickte schnell, den Zwerg nicht aus den Augen lassend: "Herr Osk? Ähh... Was ist eine Geode? Und wo habt ihr eure Fesseln gelassen?"

Osk schmunzelte amüsiert über den offensichtlichen Wissensdurst des Kleinen: "Also ein Geode ist ein Zwerg, der sich sehr gut mit Tieren und der Natur auskennt. Soviel ich weiß, versteht er die Tiere und sie ihn. So wie die Hexen und die Druiden. Bei den Zwergen sind solche Begabungen recht selten, noch seltener als bei den Menschen. Sie können auch irgendwelche komische Magie wirken, das kannst du mir glauben; hab ich am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Belan war dabei, er weiß wovon ich spreche..." Ein verwirrter Ausdruck stahl sich auf das Gesicht des Zwergen, als ihm plötzlich der zweite Teil der Frage des Jungen bewusst wurde: "Was für Fesseln meinst du eigentlich?"

Raslans Gesicht nahm einen satten Rotton an, während Osks strenger Blick auf ihm ruhte. "Ähh, nun, Belan sagte, ihr wäret angeschient und da dachte ich, man hätte euch wohl irgendwo festgemacht." Osk fuhr herum, bereit seinem Magierfreund gehörig die Meinung zu sagen, Belans fassungslose Miene zeigte aber mehr als alles andere, dass der Magier ebenso erstaunt über Raslans Äußerung war, wie er selbst.

Osk, der immer noch nicht sicher war, was der Junge meinte, wirkte etwas ratlos. Der Junge hat die schlechte Eigenschaft mich genauso zu verwirren, wie Belan. Mit hochgezogener Augenbraue wandte er sich an Raslan: "Belan ist jemand, der viel erzählt, wenn der Tag lang ist. Die Kunst ist es, zu erkennen, was sinnvoll ist und was nicht.....". Osks Lächeln wurde immer breiter und er warf seinem alten Freund einen Seitenblick zu. "Auf jeden Fall besitze ich keine Ketten, außer den Ketten unserer Freundschaft!" Raslan runzelte überlegend die Stirn, das Gesichtchen missmutig verzogen. "Aber Belan hat es doch gesagt! Osk, so sagte er, ist angeschient. Das hat was mit seiner Religion zu tun, hat er gesagt." Der Blick, den der Junge dem Magus zuwarf, war halb verärgert, halb anklagend. Osks Kinnlade sank herunter, während ihm mehrere Essen auf einmal aufgingen: "Angroschim, Raslan, Belan meinte wahrscheinlich, ich sei ein Angroschim!" Der Junge runzelte missmutig die Stirn: "Das hab’ ich doch gesagt."

Man merkte dem Zwerg jetzt doch an, daß er sich sehr wohl fühlte und ihm das Gespräch trotz aller Verwirrung Spaß machte. Freundschaftlich schlug er seinem alten Freund auf den Oberschenkel, danach wandte er sich wieder an Raslan: "Sag mal, was sagen eigentlich deine Eltern, daß du mit Belan mitgegangen bist? Sind sie nicht traurig, daß du weg bist?" Der Kleine hob den Kopf, fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase und brummte irgendetwas in seinen weißen Milchbart. Osk sah ihn mit gerunzelter Stirn an, worauf der Kleine mit seinen meerblauen Augen angestrengt auf die dunkle Maserung der Tischplatte vor sich starrte: "Hab keine mehr."

Die Fröhlichkeit verschwand aus dem runzligen Gesicht des Zwergen, als hätte man einen Eimer Wasser hineingeschüttet. Osks Hand streckte sich dem verwuselten Kopf des Kleinen entgegen, um ihm tröstend über die Haare zu streichen, verharrte aber auf halbem Weg: ""Das tut mir leid, mein Kleiner! Entschuldige, ich konnte es ja nicht ahnen." Osk, du bist ein Idiot. Wenn Du nur mehr aufpassen würdest. Bevor Belan seine Geschichte ausgebreitet hat, hat er gesagt, dass der Junge eine Waise ist. Für einen Zwerg hast Du nicht mal ein Kupfer Verstand. Verlegen sah sich Osk nach seinem Freund um: "Es ist schlimm, wenn man keine Familie hat, dann ist es am wichtigsten gute Freunde zu haben. Belan ist dein Freund" die Augen des Zwergen fingen den Blick seines jungen Gegenübers ein: "und glaube mir, er ist ein sehr guter Freund. Wenn du magst, können wir auch Freunde sein und wenn du etwas brauchst, sagst du mir oder Belan Bescheid. In Ordnung?"

Belan beobachtete das stumme Zwiegespräch, das, gleich einem Schlagabtausch, folgte, schneller als es Worte gekonnt hätten. Dann entspannte sich sein kurzgewachsener Freund und auch über das Gesichtchen seines Schützlings lief wieder ein Lächeln.

Osk lehnte sich zurück, so dass sein Gesicht in den Schatten lag. Ohne es sehen zu können, spürte Belan die Traurigkeit, die mit einem Mal den Zwerg umfangen hatte: "Meinem Vater geht es auch nicht besonders gut. Er ist alt. Körperlich ist er noch gut beieinander, doch er wird langsam blind. Das ist verdammt hart." Die Worte schwebten über der kleinen Gemeinschaft wie Raubvögel. "Es war nicht leicht, einfach wieder zu gehen. Aber ich habe Verpflichtungen, das haben sie alle in meiner Heimat verstanden..." Belans Kehle war wie zugeschnürt. Das hatte er nicht gewusst. Zwerge lebten doch... ewig. Verzweifelt suchte er nach Worten, die seinem Freund helfen könnten...

Eine kleine Hand stahl sich in die runzlige Rechte des Zwergen. Als tauche er aus einem unergründlichen Meer von Gedanken wieder auf, senkte er den Kopf und sah in die Runde. Belans Gesicht zeigte dessen Gefühle deutlicher, als alle Beteuerungen es je vermocht hätten und Raslan war quer über den Tisch gerutscht um Osks Pranke in seine Eigene zu nehmen, das eigene Leid vergessend und nur um das Wohl dieses Freundes seines Meisters besorgt. Einen Augenblick schien Osk noch etwas sagen zu wollen, dann schüttelte er unmerklich den Kopf, räusperte sich vorsichtig und meinte mit merklich belegter Stimme: "Schluß mit den düsteren Gedanken! Anscheinend reisen wir dann wohl jetzt zu dritt! Wann brechen wir denn auf? Wollt ihr beiden hier einen Tag rasten oder morgen früh gleich aufbrechen?"

***

Indessen hatte Celissa, die Schankmagd, sich wieder in das Hinterzimmer begeben, wo ihr Stiefvater die Getränke lagerte. Vorsichtig füllte sie einen großen Tonkrug mit frischem Bier bis zum Rand, dann entnahm sie einem Regal einen etwas kleineren Krug und gab Wein hinein. Natürlich hat das Bier dem Zwerg nicht geschmeckt. Bernhelm Maurenbrecher, einziger Wirt im Umkreis eines halben Tagesmarsches und so geizig, dass er sein ohnehin überteuertes Bier auch noch mit Wasser verdünnte, ein toller Mann war ihr Stiefvater. Oh Mama, wenn du wüsstest, wie es seit deinem Tod hier bergab gegangen ist. Bernhelm ist kaum einen Tag die Woche nüchtern und ich komme aus dem Putzen und Bedienen nicht mehr heraus.

Vorsichtig balancierte Celissa die zwei Krüge durch die gefüllte Schankstube, gewohnheitsmäßig den Gästen ausweichend. Eine schnelle Bewegung ließ sie aufblicken, während sie sich mit den Getränken dem Tisch des Zwergen und seiner Begleiter näherte. Der Kleine mit dem kupferrotem Haar hatte sich weit vorgebeugt und seine Arme um irgendetwas gelegt, das sich wohl auf dem Holztisch direkt vor ihm befinden musste. Irritiert fing sie den Blick des Jungen ein, eine seltsame Mischung aus Besorgnis, Niedergeschlagenheit und Freude.

Als Celissa zu dem Tisch der drei Reisenden kam, bemerkte sie sofort die eigenartige Stimmung. "Darf ich den Herrschaften noch etwas bringen?" Ein freundliches Lächeln huschte über das Gesicht des Mädchens, während es die Krüge vor dem Zwerg und dem Magier absetzte. Unbewusst strich sie über den Schopf des Kleinen, der sich wieder auf seinen Stuhl gehockt hatte. Der Zwerg lächelte Celisa an und brummte: "Bring mir doch noch ein Bier! Das Essen war gut und ich bin satt. Immerhin habe ich ja auch schon zwei große Portionen gegessen!"

Beflissen nickte die Schankmagd, als aus der offenen Küchentür die Stimme des Wirtes die Gaststube durchschnitt wie ein Messer: "Celissa! Halt` keine Maulaffen feil un` sieh` zu, dass Du was schaffst!". Celissa zuckte zusammen; offensichtlich war Maurenbrecher wieder mal betrunken. Ein freundliches Lächeln in die Runde: "Sind die Herrschaften fertig mit speisen?"

Während Raslan noch einen letzten Wurstzipfel packte und ihn genießerisch in den Mund stopfte, begann Celissa Geschirr und Speisen zusammenzuräumen. Das vollbepackte Tablett mit beiden Händen balancierend machte sie sich auf den Weg in die Küche und entschwand den Blicken der Gäste.

 

Ein lautes Scheppern und ein gotteslästerlicher Fluch des Wirtes ließen alle Gespräche im Wirtshaus für einen Moment verstummen . Der Wirt war augenscheinlich mit seiner Stieftochter zusammengestoßen, die wegen des schweren Tabletts nicht hatte ausweichen können. In die Stille fielen überlaut zwei deftige Schläge, begleitet von weiteren Flüchen des Wirtes.

Das Gesicht des Zwergen hatte sich beim Klang der Schläge zusammengezogen. Die Brauen gesträubt und die Zähne zusammengebissen, erhob sich Osk langsam aber mit der Unerbittlichkeit einer Lawine von seinem Stuhl. Obwohl er wusste, dass der Zorn des Zwergen nicht ihm galt, zuckte Raslan unter dem Blick des Zwergen unwillkürlich zusammen. Hinter Osks Augen schien eine Esse zu glühen, als er sich an Belan wandte und diesem mit beherrschter Stimme zuraunte: "Belan bleib bei dem Jungen. Ich hab da was zu erledigen." Ohne sich zu vergewissern, ob sein Freund dies wahrgenommen hatte, stapfte er wütend in die Küche.

Osk durchmaß den kleinen Raum mit seinen Blicken. Das Tablett war auf den Boden geprallt und die irdenen Tiegel mit Marmelade und Honig waren an den Fliesen zerschellt. Das Brot lag in der Ecke und rotierte noch um sich selbst und so wirkte die Szene auf eine gespenstische Weise unwirklich, zumal sich die beiden Menschen, die im Mittelpunkt des Raumes standen, nicht bewegten. Der Wirt hatte die Hand noch zum Schlag erhoben, während das Mädchen, die Hand auf die Wange gepresst, sich in Erwartung der nächsten Mauschelle geduckt hatte. Die Brust des Mannes war nass und die Schaumflecken wie der zerbrochene Krug, dessen Henkel der Mann noch in der anderen Hand hielt, bezeugten deutlich, was geschehen war.

Den Raum mit einem einzigen Schritt durchquerend packte Osk die geballte Faust des Mannes gerade in dem Augenblick, als dieser nach dem Mädchen schlagen wollte: "Wirt was soll das hier? Bist du noch ganz bei Trost? Ich bin zwar Gast in deinem Hause, doch werde ich nicht zusehen, wie du das arme Ding da verprügelst. Vielleicht solltest du dich mit jemanden in deiner Kragenweite anlegen!" Sich zwischen den Wirt und das Mädchen manövrierend, wandte er sein Wort an Celissa, ohne ihren Vater aus den Augen zu lassen: "Mädchen lass uns mal alleine. Ich brauche Platz, um diesem Fettsack eine Lektion im guten Umgang mit Frauen beizubringen." Obwohl Osk seine Waffen am Tisch gelassen hatte, wirkte er recht imposant und auf alles vorbereitet. Seine Stimme dröhnte wie eine Glocke, so dass seine Worte selbst im entferntesten Winkel der Taverne deutlich zu verstehen gewesen waren.

Widerstandslos ließ sich Celissa von Osk beiseite schieben. In ihr loderte glühender Haß, zu oft hatte Bernhelm, dieser Mistkerl, sie geprügelt und misshandelt. Das würde er nie wieder tun! Sie huschte behände an Osk vorbei und zur Tür hinaus.

Als sie den Schankraum betrat, indem sich allem Anschein nach gerade eine Schlägerei anbahnte, duckte sie sich hinter die Theke. Ein Bierkrug flog über sie hinweg und zerschellte an der Wand. Ihr Blick fiel auf die Kasse, die sicher unter der Theke verwahrt stand. Sie warf einen Blick auf die Tür zur Küche, doch ihr Stiefvater war von dem Zwerg wohl so eingeschüchtert worden, dass er sie gar nicht wahr nahm. Leise öffnete sie die Kasse und nahm alles Geld heraus. Dann warf sie wieder einen Blick auf die beiden Männer in der Küche, die sie immer noch nicht beachteten. Jetzt schlich sie durch eine weitere Tür ins Zimmer des Wirtes. Sie wusste genau, wo er seine wenigen Ersparnisse versteckt hielt. Als sie auch diese in ihren Besitz gebracht hatte, stieg sie aus dem Fenster, um über das niedrige Dach eines kleinen Schuppens in ihr Zimmer zu gelangen. Es fehlte noch, dass sie in die Schlägerei im Wirtshaus verwickelt wurde!

Sie hatte viel Übung darin, auf diesem Weg in ihre kleine Kammer zu gelangen, benutzte sie diesen Weg doch immer, wenn sie ihrem Stiefvater unbemerkt entwischen wollte. Es dauerte nicht lange, bis sie ihre wenigen Habseligkeiten zu einem Bündel gepackt hatte. Auch ihre kleinen Ersparnisse, die sie immer am Wirt vorbeigeschleust hatte, packte sie ein. Ihre Stirn runzelte sich, als sie ihre Habseligkeiten überschlug: Alles in allem mochte sie an die 6 Dukaten mit sich führen.

Sie öffnete ihre Tür und hörte, dass der Lärm in der Gaststube immer noch nicht verklungen war. Leise schloss sie wieder die Türe und kletterte aus dem Fenster. Auf nach Gareth und der Herre Phex möge meine Schritte lenken! Sie schlug sich in die Büsche und machte sich auf den Weg. In der näheren Umgebung kannte sie die Gegend noch und auch der Wald flößte ihr keine Furcht ein.

Raslan hatte vergnügt beobachtet, wie der Zwerg in der Tür zur Küche verschwand und sah zu Belan auf, diesen durch seine Zahnlücke angrinsend: "Oh oh, da ist jemand echt stinkig!" Belan grinste zurück: "Ich glaube jetzt wirst Du sehen was es heißt einen Angroschim zu verärgern!" Die Schankstube im Auge behaltend näherte sich Belan dem Jungen, dessen Blicke von der geöffneten Küchentür gefangen genommen waren. Ich hoffe, Osk lässt von dem armen Mann noch etwas übrig. Wie kann man auch so dumm sein, eine Frau zu schlagen, wenn dieser Zwerg in der Nähe ist, ts ts. Die Blicke der Anwesendes zuckten zwischen dem Magier und der geöffneten Tür hin und her und Belan sah mit Genugtuung, dass sich bereits einige Gäste erhoben und rückwärts auf die Ausgangstür zugeschoben hatten.

Aus der Küche schlüpfte gerade die junge Schankmagd, als Belan aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, wo ein offenbar betrunkener Bauer saß. Der Mann hatte seinen Bierkrug erhoben und schleuderte ihn nun in Belans Richtung.

Der hölzerne Krug drehte sich um die eigene Achse, während er die Luft pfeifend durchmaß. Das Gesicht des Werfers war zu einem hämischen Grinsen verzogen und zwei weitere Männer, die an seinem Tisch saßen, sahen ihn bewundernd an. Belan schüttelte den Kopf und wich dem Krug in einer eleganten Bewegung aus. Ein Geräusch aus der anderen Tischecke ließ ihn herumfahren. Ein dicker, behäbiger Mann war aufgesprungen und näherte sich mit großen Schritten dem Tisch seines Gegners: "Emmerich, Emmerich. Was sind denn das für Sitten? Diese Leute sind fremd hier und darüber hinaus auch noch gut erzogen." Mit einer einzigen Bewegung hatte der Mann den grinsenden Kerl am Wams gepackt und auf die Beine gezogen, während seine Tischgenossen erstarrt zu sein schienen. "Jetzt wirst Du Dich für Deine Frechheit bei dem Magus entschuldigen. Ist das klar?" Ohne dass die Füße seines Opfers den Boden berührten, schleppte der Stämmige ihn in Richtung Belans Tisch.

Unterdessen war der Wirt unter Osks Blick sichtlich zusammengeschrumpft. Die Miene weinerlich verzogen hatte der Bernhelm die Hände zur Abwehr erhoben und greinte in seinen bierschaumüberzogenen Bart. Osks Wiederwillen gegenüber diesem Zerrbild eines aufrechten Mannes drängte seine Wut weit in der Hintergrund. Der Atem, den ihm der Wirt ins Gesicht stieß, erinnerte ihn an seine Großmutter und es schien sich darin mehr Alkohol zu befinden als im Bier. Osk entspannte sich etwas. Diese jämmerliche Figur war seine Wut nicht einmal wert. Und doch fühlte er immer noch den metallenen Geschmack des Zorns auf seiner Zunge: "Ich geh hier nicht eher weg, bis du dich bei dem Mädchen entschuldigt hast, Freundchen" Der Zwerg maß den Wirt mit einem finsteren Blick: "Du wirst Deine Schuld bei ihr wieder gut machen, dass das klar ist. Und du wirst mir jetzt sagen, wie du dies zu tun gedenkst, sonst sehe ich mich gezwungen, dir noch eine kleine Nachhilfe im Kämpfen zu geben. Ich hoffe, wir haben uns da verstanden. Und beeile Dich, Zwerge können sehr ungeduldig sein...!"

Der Wirt senkte langsam den Kopf und bückte sich demutsvoll vor dem Zwerg, der vor ihm stand. Ein leichtes Glitzern verriet ihn und als sich der Betrunkene mit dem Langdolch in der Hand wieder aufrichtete, war der Zwerg bereit.

Die Füße des Mannes namens Emmerich schleiften über den Boden, während sich der Hühne Belan näherte. Seine Freunde hatte sich inzwischen erhoben und Belan sah, dass einer der Männer, die bei Emmerich am Tisch gesessen hatten, einen Weinkrug erhob und ihn in einer fließenden Bewegung auf den Rücken des Hühnen schleuderte. Ein metallisches Glitzern zerteilte die Luft, wirbelte schneller, als das die Augen seinem Flug hätten folgen können, durch die Luft und traf mit einem hellen Klingen auf den irdenen Krug, der zerplatzte und seine Splitter in der gesamten Gaststube verteilte. Das Wurfmesser hatte den Boden noch nicht erreicht, als aus den Schatten eine tiefe und volle Stimme ertönte: "Es ist genug!"

Raslan war instinktiv zurückgewichen und hatte sich hinter Belan versteckt, der gerade dabei gewesen war, einen Zauber in die Luft zu werfen. Nur mühsam ließ er die angestaute astrale Energie wieder frei, bemüht, den Zauber fallen zu lassen. Nichtsdestoweniger zeigte die Anspannung, die sich seiner bemächtigt hatte, dass er jederzeit bereit war, einen weiteren Zauber zu wirken, wenn dies notwendig scheinen sollte. Die Geschehnisse im Zentrum des Raumes nicht aus den Augen lassend, versuchte Belan einen Blick auf den Mann zu erhaschen, der eben das Wort erhoben hatte.

Die Hand des Wirtes schoss vor. Osk wirbelte ein wenig zur Seite und packte in einer fließenden Bewegung nach der Hand seines Angreifers. Der Dolch erwischte Osk seitlich auf Höhe seines Rippenbogens und schabte mit einem lauten kreischen am Kettenhemd des Zwerges entlang. Angetrieben vom eigenen Schwung schoß der Wirt auf Osk zu, dessen Brauen sich sträubten, während ein gemeines Grinsen sich über das finstere Gesicht des Zwergen stahl. Während er mit einem schnellen Zug am Arm den Wirt an sich heranzog, drehte er sich um seine eigene Achse und winkelte seinen Arm an. Den Ellenbogen genau auf den Wirt gerichtet spürte er, wie dieser in ihn hereinlief und nutzte genau diesen Augenblick, um seinen, mit dem Kettenhemd beschwerten Ellenbogen in den Leib des Mannes zu rammen.

Ein leises Ächzen floh zwischen den zusammengepressten Lippen des Wirtes hervor, dessen Gesicht eine teigige Blässe angenommen hatte, während seine Augen einen Ausdruck puren Erstaunens trugen. Ganz langsam, als bewege er sich in flüssigem Honig, wankte Bernhelm zurück und sank in die Knie. Der Dolch fiel durch scheinbar kraftlose Hände und zitterte wie Espenlaub, während sich der Wirt mit der anderes Hand seine Leisten hielt. Ein kraftloses Wimmern, dann sank Bernhelm bewusstlos zu Boden, während der Zwerg interessiert seine Fingernägel zu mustern schien. "Würde sagen, der Meister Wirt wird wohl keine Witze mehr über Kleinwüchsige reißen," kommentierte Osk, während er scheinbar unbeteiligt den Langdolch aufhob und auf den Tisch legte: "Immerhin passte das alles haargenau. Nur schade, dass er dies jetzt wohl nicht mehr seine Kinder lehren kann."

(Diese Geschichte ist noch nicht beendet!)

S.Gundlach / M.Gundlach / D.Milanovic / V.Weinzheimer / A.Kärgelein