Die Geschichte mit dem Jungen namens Raslan!
Teil II

Der Mann trat aus den Schatten, in denen er sich bisher so ruhig verborgen gehalten hatte, und stellte sich in die Mitte des Raumes. Belan konnte ihn nun genau sehen und was er sah, ließ seine Augenbrauen etwas in die Höhe gleiten.

Der Fremde vor ihm war gut an die zwei Schritt groß. Ein dunkelgrüner Umhang hüllte die Gestalt des Mannes vollkommen ein, die lange einer Gugel ähnelnde Kapuze hatte er sich vom Kopf gezogen und so fiel sie auf den silbergrauen Pelz eines Wolffelles, das von den Schultern seines Umhangs bis zur Hüfte reichte.

Ein kurzer Seitenblick flackerte hinüber zu dem Tisch, an dem Belan immer noch stand, eine Hand zum Zaubern erhoben, mit der anderen den hinter sich stehenden Raslan haltend. Vorsichtig lugte der rote, strubbelige Haarschopf des Jungen hinter Belans Rücken hervor, den Mann in der Mitte mit gekrauster Nase und zusammengekniffenen Augen beobachtend. Raslan fing den Blick des Mannes auf, denn gerade ihm hatte dieser augenscheinlich gegolten, ein Umstand, den der Junge mit einem leisen Quieken beantwortete, während sich seine Hände in den Umhang Belans gruben.

Unter den dichten schwarzen Augenbrauen, die eine feine Kurve aufwiesen, schauten zwei strahlend blaue Augen zu den zwei Zauberkundigen hinüber. Gletscherseen! Dies ging dem Jungen durch den Kopf, obwohl er selbst doch nie welche gesehen hatte und doch, so mussten diese Seen aussehen. So klar und so unglaublich glitzernd kalt. Als der Fremde die Furcht in Raslans Augen bemerkte, veränderte sich der Ausdruck in seinen Augen und in seinem ganzem Gesicht. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen und seine Augen hatten jegliche Kälte verloren, ja, es legte sich ein fast schelmischer Ausdruck auf seine Züge. Er blinzelte mit einem Auge Raslan zu, dann wandte er sich wieder an die Herrschaften, bei denen der Werfer des Kruges saß und seine Augen strahlten nun wieder diese gnadenlose Kälte aus. Seine Stimme war nicht laut, aber so fest, das kein Wort in dem Raum verloren ging.

"Man nennt mich Wolfsherz! Wer noch einmal Travias Gebot der Gastfreundschaft so beleidigt, kann herausfinden warum man mir diesen Namen einst gab!", dabei breitete er seine Arme aus und Belan bemerkte das Schwert an der linken Seite des Mannes und außerdem weitere Wurfdolche, die in den Unterarmschienen aus Leder steckten. Ein Lächeln stahl sich in seine Züge. Würde wohl einer dieser Säufer sich diesem Mann stellen?

Die Stille, die die Worte des Mannes begleitet hatte, wich einer fast emsigen Beschäftigung, als jeder der Anwesenden mit Ausnahme des Mannes und der zwei Zauberkundigen seine Gespräche wieder aufnahm, als sei nie etwas geschehen. Hinter der hoch aufragenden Gestalt trat Osk aus der offenen Küchentür und sah sich suchend im Raum um. Dann zuckte er kurz mit den Achseln und näherte sich dem Tisch, an dem er mit Belan gesessen hatte. Dieser hatte mittlerweile den Hünen mit einer Handbewegung eingeladen, sich doch an ihren Tisch zu setzen und, als augenscheinlich wurde, dass weder der Wirt, noch die Schankmagd zur Zeit ihren Pflichten nachkommen würden, Raslan losgeschickt, für alle noch ein paar Getränke zu organisieren.

***

Celissa hatte mittlerweile eine gute Wegstrecke hinter sich gebracht. In Gedanken war sie immer wieder die letzten Stunden durchgegangen und hatte sich selbst versichert, dass sie schon längst hätte aufstehen und dieses Monster verlassen müssen. Trotzdem war sie aufgewühlt vor Unsicherheit und Angst und schrak jeden Augenblick zusammen. Noch nie war sie so mutterseelenallein gewesen. Wo sollte sie nur hingehen?

***

Das Lächeln in Belans Gesicht hätte breiter nicht sein können. Während Wolfsherz noch aufmerksam in die Runde spähte, hatte der Magus ein paar kleinere Beschwörungen gemurmelt, woraufhin sich der Dolch des Fremden wie von Geisterhand bewegt vom Boden erhob und, das Heft nach oben gerichtet, langsam auf den Kämpfer zuflog. "Habt Dank für Eure Hilfe, Wolfsherz." Mit unbewegter Miene griff der Kämpfer die Klinge aus der Luft. Belans Lächeln schien noch in die Breite zu wachsen, während er auf die Küchentür blickte, aus der gerade Osk heraustrat: "Auch wenn sie nicht nötig gewesen wäre..."

"Aber kommt doch, und setzt Euch zu uns an den Tisch! Raslan," Der Junge, der die Gaststube fast durchquert hatte, blickte sich nach Belan um: "wenn Du schon dabei bist, bring direkt ein wenig mehr Bier und bring dem netten Herrn dort auch noch einen Krug." Die Hand des Magus wies auf den hilfreichen Bauern, der es sich in der Zwischenzeit wieder an seinem Tisch bequem gemacht hatte. Raslan nickte dienstbeflissen und huschte hinter Osk in die Küche, während der Zwerg auf ihren Tisch zusteuerte, ein befriedigtes Lächeln im Gesicht.

"Na Osk, das hat aber lange gedauert, oder sag, kamst Du nicht mehr an den Türknauf?" Der Schalk stand Belan dabei wieder nur so im Gesicht, der kleine Kampf schien vergessen und Belan gewillt, mit seinen kleinen Späßen genau dort weiterzumachen, wo der Wirt ihn unterbrochen hatte.

Während sich Belan mit Wolfsherz an dem Tisch niederließ und auf Osk wartete, wurde sein Tonfall ausgelassen, als hätten sie sich gerade bei einem Immanspiel oder bei einem Fest getroffen. "Dies hier vorne ist Osk Heldenhammer, beachtet, noch ist er ganz zu sehen, hat er den Tisch erreicht, dann könnt ihr wohl nur noch seinen Kopf erkennen. Der Junge dort," Belan wies auf Raslan, der gerade mit hochrotem Gesicht ein volles Tablett quer durch die Gaststube hievte, "das ist Raslan, mein Schüler. Und mich selbst nennt man Belan Taubenstein."

Wolfsherz folgte mit den Augen Belans Hand, als dieser zur Tür und damit auf Osk zeigte. Ohne dass Belan es bemerkte ließ er die rechte Hand mit dem Dolch unter seinem Mantel verschwinden und Belan glaubte für einen kurzen Augenblick ein metallisches Klicken zu hören.

"Was verschafft uns denn die Ehre, Eures Eingreifens. Wie mir scheint, seit ihr nicht von hier, darf man denn fragen, woher Ihr kommt und warum es Euch hierher verschlagen hat? Wo habt ihr eigentlich gelernt so gut mit dem Wurfdolch umzugehen?"

Wolfsherz schaute Belan einen Moment lang an und die blauen Augen suchten dabei ohne jegliche Furcht den direkten Blickkontakt zu dem Magier. Das Gesicht von Wolfsherz war zu einem großem Teil von einem wohl gestutzten Vollbart geziert, in dem hin und wieder rotgoldene Funken aufzusprühen schienen, wenn das Licht der Kerzen darauf fiel. Auch die langen, leicht gewellten und vollen braunen Haare, die er nach hinten gekämmt und dort von einem dunklen Band zusammengehalten trug, sahen gepflegt aus und zeigten dieses eigenartige rote Glitzern im Licht. Das Gesicht zeigte unverkennbar die Zeichen eines Lebens, die man bekam, wenn man viel an der frischen Luft unterwegs war. Es bereitete Belan Mühe das Alter dieses Mannes zu schätzen. Er war wohl älter, aber wie viele Götterläufe, dies konnte er beim bestem Willen nicht schätzen.

"Ihr verbraucht euren Atem genauso unnötig wie eure arkane Kraft." Ruhig durchdrang die Stimme die Gedanken, denen Belan eben nachgehangen hatte. "Während des ganzen Abends hattet ihr euch keine Mühe gegeben, sonderlich leise zu sein und so ist eine Vorstellung Euerseits nicht mehr großartig von Nöten."

Ein Lächeln stahl sich nun auch auf die Lippen des Kämpfers, das bei Osks Ankunft am Tisch noch etwas breiter wurde. "Ich selbst komme wahrlich nicht aus dieser Gegend, aber es würde euch auch nichts nutzen, wenn ich euch sagen würde, dass ich aus dem Herzen Garetiens stamme.

Meine Fertigkeiten mit dem Dolch... Nun, Ihr habt Eure Fähigkeiten doch auch nicht von Geburt an perfekt beherrscht und doch ist einem jedem von uns eine bestimmte Begabung in die Wiege gelegt worden, die man dann von geeigneten Lehrmeistern oder dem Leben weiter ausgebaut bekommt. Meine Schule war hart und ich denke, auch die eure wird kein Kinderspiel gewesen sein, auch wenn ihr manchmal gerne zu Spielen aufgelegt zu sein scheint. Belassen wir es also dabei, dass ein jeder von uns seine Begabungen hat."

Wolfsherz Aufmerksamkeit schwenkte zu Osk herüber, wobei sein Blick Raslan streifte, der sich mit dem Tablett abmühte. Belan bemerkte, dass Wolfsherz wohl in einer ersten Reaktion aufstehen wollte, scheinbar um Raslan zu helfen, doch dann entspannte sich der Mann vor ihm wieder.

Osk mit einem rätselhaften Blick musternd, meinte Wolfsherz leise: "Ihr solltet das, was ihr anfangt, auch beenden, Angroschim! Die Schläge habt ihr von der Wirtstochter abgehalten, doch nun ist sie allein da draußen im Wald und wer weiß schon, ob sie sich dort gut genug auskennt. Solltet ihr also eure Tat für noch nicht beendet halten, dann würde ich euch meine Hilfe anbieten."

Ohne den Blick von Osk abzuwenden streckte Wolfsherz plötzlich seine Hand aus. Raslan hatte über ihr Gespräch den Tisch erreicht und das überladene Tablett war immer mehr ins Wanken geraten. Ein Krug rutschte gerade über die Kante des schweren Tabletts, den Wolfsherz mit schlafwandlerischer Sicherheit aus der Luft pflückte, bevor er auf dem Tisch zerschellen konnte.

Dann griff er mit der anderen Hand zu und nahm Raslan das Tablett ab, damit auch die anderen Sachen darauf sicher auf den Tisch kamen. Den dankbaren Blick des Jungen schien er ebenfalls zu spüren, denn während der Zwerg unter dem eiskalten Blick immer unruhiger wurde, lächelte Wolfsherz kurz, als husche ein Blitz über eine dunkle, trostlose Landschaft.

Belan, dessen Neugierde nicht gewichen war, hatte instinktiv die Hände des Mannes beobachtet, als dieser Raslan von seiner Last befreite. An der rechten Hand trug der Mann einen breiten, silbernen Ring, den ein rundes, ziseliertes Wappen zierte. Während Belan noch nachdachte, blitzte vor seinem inneren Auge ein Bild auf: Die Dergelsteinerin, wie sie den Vertrag mit dem OZR besiegelte. Langsam furchte sich die Stirn des Magiers. Warum um alles in der Welt sollte ein Mann, der wohl nicht von Stand war und die einfache Kleidung eines Kriegers bevorzugte ein Sigel besitzen. Dieser Mann war wirklich ausgesprochen rätselhaft. Zu dumm, dass er das Siegel selbst nicht hatte erkennen können.

***

Celissa war nun bereits etliche Stunden unterwegs und bekam langsam Hunger. Sie hätte sich ohrfeigen können für die Tatsache, dass sie nicht daran gedacht hatte, etwas Proviant mitzunehmen. Andererseits hätte sie, um in die Speisekammer zu gelangen, durch die Küche gemußt, doch da diskutierte ja der Angroschim mit ihrem Stiefvater!

Sie fand einige Brombeeren, die sie sorgfältig erntete. Zwar überlegte sie krampfhaft, ob sie in der Gegend eine menschliche Behausung kannte, aber sie musste sich zerknirscht eingestehen, sie war schon zu weit weg von Daheim. Auch konnte sie keine Spur entdecken, die auf die Anwesenheit menschlichen Lebens hätte schließen lassen. Mit einem Seufzer nahm sie auf einem Baumstamm Platz und begann ihre Beeren zu naschen. Sie blickte sich um. Der Wald wirkte relativ friedlich; hier und da fiel die Sonne durch das Blattwerk, Vögel sangen ihre fröhlichen Lieder, ein bläulich-schimmernder Käfer krabbelte über einen moosbewachsenen Stein und die Luft war erfüllt vom leisen Gurgeln eines Baches, der sich hinter ein paar Bäumen seinen Weg suchte.

Sie stand auf und verließ den Weg, den sie bisher nicht zu verlassen gewagt hatte, um ihren Durst zu Stillen. Das Wasser war kühl und sehr erfrischend und Celissa trank in gierigen Schlucken. Als sie sich wieder erhob, sah Celissa in einiger Entfernung eine kleine, brüchige Kate durch das Unterholz des Waldes schimmern. Vorsichtig näherte sich das Mädchen, den Kopf lauschend ein wenig zur Seite geneigt, doch trotz größter Aufmerksamkeit hörte sie nichts und bewohnt sah die Hütte auch nicht aus.

Celissa überlegte, ob sie dort vielleicht die Nacht verbringen könne. Es war zwar erst früher Nachmittag, doch sie war müde und es war ihr klar, dass sie im schlimmsten Falle die Nacht im Wald verbringen müßte. So näherte sie sich der ziemlich verfallenen Hütte.

Ein kurzer Blick überzeugte sie, dass hier wirklich bereits seit langer Zeit niemand mehr wohnte. Das Dach war löchrig, die Fensterläden hingen schief in den Angeln und die Tür stand offen. Celissa betrat zögernd das Innere. In der Herdstelle brannte kein Feuer, Staub lag auf den brüchigen Möbeln, eine ungemachte Bettstelle stand in der Nähe des kleinen Kamins. Sie sah sich um, offenbar war diese Stätte in aller Eile von den Besitzern verlassen worden. Nichtsdestotrotz war dies besser als gar kein Unterschlupf. Sie versuchte noch die Tür zu schließen, doch die klemmte so sehr, dass sie sich keinen Zentimeter bewegen ließ.

Zu ihrer Überraschung merkte Celissa erst jetzt, wie müde sie mittlerweile war. Kein Wunder, schließlich war sie schon seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen gewesen, hatte den Abwasch vom Vorabend erledigt und die Schankstube gesäubert, bevor sie sich selbst ein kleines Frühstück gegönnt hatte. Sie legte sich auf das Bett und versuchte zu ignorieren, dass die Bettstatt alles andere als sauber war. Es dauerte nicht lange und sie war in einen tiefen Schlummer gefallen.

Als Celissa wieder erwachte, war es draußen merklich dunkler geworden. Ein seltsames Gefühl beschlich sie. Vorsichtig blickte sie auf und stieß vor Schreck einen gellenden Schrei aus. Gleichzeitig sprang sie auf und presste sich an die Wand in ihrem Rücken. Vor ihrem Bett saß eine Gestalt und beobachtete sie. Es war ein verwahrlostes Wesen mit langen, verfilzten Haaren und einer schmuddeligen, zerrissenen Kutte. Es war mager, so mager, dass Celissa nicht erkennen konnte, ob es ein Mann oder eine Frau war. Das Gesicht war zerfurcht und wettergegerbt, wie bei jemandem, der sich viel im Freien aufhält.

Was auch immer da vor ihr stand, es begann zu lachen und unverständliche Worte zu brabbeln. Zwar meinte Celissa, das Wort "aufgewacht" zu verstehen, sicher war sie sich aber nicht. Ihr Herz raste in panischer Furcht und ihre Beine drohten unter ihr nachzugeben. Die Gestalt rührte sich nicht vom Fleck, sondern stierte auf das Mädchen, während sie weiter vor sich hin brabbelte. Celissa wagte nicht, sich zu rühren. Das Wesen richtete sich langsam auf und griff nach Celissa, die zusammenzuckte und zurückzuweichen versuchte. Sie drückte ihr Bündel an sich und rutschte an der Wand entlang. Die Gestalt griff nach Celissas schönen Haaren und strich behutsam darüber. Die Blicke der beiden trafen sich und die Schankmagd sah den verwirrten Ausdruck in den Augen ihres Gegenübers. Der Geifer lief über das Kinn des Wesens und seine Hand strich über ihre Wange und dann über ihren Hals.

Ein lauter Schrei, dann sprang Celissa wie von der Maraskantarantel gestochen in die Höhe, schoss aus dem Bett und rannte aus der Hütte heraus.

Sie rannte weiter, wie von Furien gehetzt, ohne sich über die Richtung klar zu sein. An Bächen vorbei, immer wieder über kleinere Büsche hinwegsetzend, lief sie, bis ihr die Luft in der Lunge schmerzte und ihre Seite brannte, als stehe ihr jemand mit glühenden Zangen hinein. Als ihre Beine unter ihr wegzusacken drohten kauerte sie sich hinter einen Busch und beobachtete, ob sie verfolgt würde. Nichts war zu sehen! Doch Celissa hatte bereits seit langem die Orientierung verloren und es wurde immer dunkler! Sie wagte nicht, sich zu rühren. Ihr Herz hatte noch immer nicht seinen ruhigen Schlag wiedergefunden, als sie von lauten Geräuschen aufgeschreckt wurde. Etwas brach durch das Unterholz, dem Lärm nach zu urteilen, mußte es sich um eine Herde Orks handeln! Fast verrückt vor Angst, sprang Celissa auf und floh durch den Wald, während hinter ihr einige Rehe gemächlich zwischen den Bäumen hervor trotteten.

Celissa konnte kaum noch erkennen, wohin sie lief. Unter den Bäumen war es stockfinster, das Licht des Madamals, wenn dieses überhaupt schon die Praiosscheibe abgelöst hatte, konnte die Baumkronen nicht durchdringen, so dicht war der Wald hier.

Mehrmals geriet Celissa ins Stolpern und wäre fast gestürzt, Äste trafen sie wie Peitschenhiebe während sie weiter lief ohne zu wissen wohin. Plötzlich packte etwas den Knöchel des Mädchens und hielt es fest. Unsanft stürzte sie zu Boden und verlor das Bewusstsein....

***

Der Blick, den Osk dem Fremden zuwarf, zeugte von dem großen Misstrauen des Zwergen, dem fremden Krieger gegenüber. "Ja," der Zwerg musterte sein Gegenüber: "Ihr habt wohl recht. Das Mädchen wird sich noch verlaufen. Das möchte ich auch nicht. Ich geh sie suchen, bis zum nächsten Dorf können wir sie dann mitnehmen."

Der Zwerg sah zu Belan herüber, dem Osks Stimmungsumschwung nicht entgangen war. Nichts war mehr von der Fröhlichkeit geblieben, mit der ihn sein Freund eben noch begrüßt hatte. "Belan, ich glaub, wir sollten unser Zeug zusammenpacken und verschwinden. Wir sind hier wohl nicht mehr willkommen. Wenn Ihr mitkommen wollt," der Zwerg sah wieder in das ausdruckslose Gesicht des Fremden: "dann könnt Ihr das gerne tun. Wahrscheinlich kennt Ihr Euch in dem verfluchten Wald sowieso besser aus als wir."

Wieder dieser Blick, als wolle der Zwerg noch etwas zu Wolfsherz sagen, doch er zuckte nur die breiten Schultern und begann seine Sachen zusammenzuklauben, die sich über den ganzen Tisch verteilt hatten. Die Schnelligkeit, mit der Osk diese Tätigkeit erledigte, zeigte mehr als deutlich, dass der Zwerg sehr oft und sehr lange unterwegs war.

Belan, der aufmerksam den Worten Wolfsherz gelauscht hatte, antwortete mit freundlicher Stimme: "Ihr scheint mir schon wieder helfen zu wollen. Doch kann ich euch versichern, ebenso wie Ihr eure Dolche besser für euch einteilen könnt, kann ich meine Kraft für mich einteilen. Weiterhin scheint’s mir, als könntet Ihr auch nicht nur vortrefflich mit dem Wurfdolch umgehen, sondern auch noch Gedanken lesen, denn meinen Namen haben weder ich, noch mein Freund Osk, oder Raslan genannt..."

Der Fremde lächelte unergründlich, während seine Augen über den Tisch hinweg blitzten, doch blieb er dem Magier eine Antwort schuldig.

Neugierig fuhr Belan fort: "Aus dem Herzen Garetiens kommt Ihr, ja wo denn daher und was verschlägt es Euch hierher in die Mark, wenn ich Euch das fragen darf?"

Als Belan die Frage nach dem genauen Woher stellte, schaute er den Magier wieder an, doch diesmal war die Kälte aus den klaren, blauen Augen verschwunden und darin lag ein Ausdruck größter Trauer, die man nur empfinden kann, wenn man einen Verlust erlitten hat, der das ganze Leben verändert.

Schnell wandte Wolfherz den Kopf ab und schien seine Aufmerksamkeit auf seine Ausrüstung zu konzentrieren, doch Belan konnte erkennen, wie der Fremde mit seiner linken Hand über seine rechte strich und dabei mit einer leichten, fast liebevoll anmutenden Bewegung über den goldenen Ring strich, auf dem sich scheinbar ein viergeteiltes Wappen, mit einem kleineren Wappenschild in der Mitte darin, befand.

Als er bemerkte, wie lange er schon mit der Antwort gezögert hatte, richtete sich Wolfherz Blick wieder auf Belan und die Trauer hatte wieder diesem harten Ausdruck in den Augen Platz gemacht. "Ich will euch nicht vor den Kopf stoßen und ihr müßt meine barsche Art entschuldigen, aber ich bin vorsichtig geworden in den Jahren mit schnellen Äußerungen und vielleicht habe ich schon zu lange niemandem mehr richtig vertrauen können. Verzeiht mir also meine Zurückhaltung und nehmt meine Freundschaft an, solange sich unsere Wege vereinen.", er streckte die Hand aus, aber nicht um Belan, wie dieser dachte, sie zum Handschlag zu reichen, sondern um Raslan, der sich eben an den beiden Männern vorbei an den Tisch drängte, durch die strubbeligen Haare zu fahren. Und wieder veränderte sich der Ausdruck im Gesicht von Wolfsherz. Ein Lächeln überflog seine Züge und hielt sich sogar einen kleinen Moment, solange, bis er seinen Blick durch den Raum gleiten ließ.

 

"Nun Osk, was meinst Du?" fragte Belan nach kurzer Zeit und legte einige Münzen für die Getränke und das Essen auf den Tisch. Der Zwerg sah von seinem Beutel auf, in den er gerade einen kleinen Lederbeutel hatte gleiten lassen. "So, oder so, wir sollten nun langsam aufbrechen. Raslan, füll Dir lieber noch ein bisschen Milch ab, wer weiß, wann wir wieder an Milch kommen." Raslan nickte, nahm Belan den kleinen Wasserschlauch aus der Hand und verschwand in der Küche.

Osk sah auf den Tisch, fügte ebenfalls noch ein paar Münzen hinzu und schulterte sein Bündel. Nachdem er sich versichert hatte, dass er nichts übersehen hatte, verließ er die Schankstube, ohne sich noch einmal umzusehen.

Belan, der an der Tür auf Raslan wartete, schaute sich nochmals mit finsterem Gesicht in der Taverne um, die Augenbrauen tief zusammengezogen. Der Junge schoss aus der kleinen Küche und stürmte, nachdem er sich nach Belan umgesehen hatte, durch die Tür hinaus, den Wasserschlauch fest an den mageren Körper gepresst.

Belan hob seine Augenbrauen, zuckte gleichgültig mit den Schultern und verließ nach Raslan die Wirtsstube. Draußen angelangt, schaute Belan erst einmal zu Osk, dann auf sein Pferd und dann wieder zurück zu Osk. Zwar hatte der Zwerg ein kleines Zwergenpony an seiner Seite, auf dessen Rücken er gerade seine Habseligkeiten verstaute, Belan kannte seinen Freund aber viel zu gut um auch nur eine Sekunde anzunehmen, der Zwerg wolle reiten. Osk, der Belans Blick spürte, schaute ihn finster an, dann grummelte er: "Denk nicht mal dran Magier, sonst ramm ich Dir meinen Fuß soweit in Deinen Hintern, dass Du mir ohne weiteres die Fußnägel abkauen kannst!"

Belan zuckte die Schultern. Er hatte es längst aufgegeben zu versuchen, den Zwergen auf ein Pferd zu bekommen. Den fragenden Blick Raslans spürend grinste er leicht: "Na komm mein Junge, setz Dich ruhig auf das Pferd, ich werde mit Osk laufen!"

Raslans Blick schwenkte kurz zwischen Belan und Osk hin uns her, dann rieb er sich nachdenklich den Hintern, kniff die Augen zusammen, musterte abschätzig den hoch über ihm aufragenden Sattel und grinste die beiden Ordensmitglieder durch seine Zahnlücke an: "Wenn’s nix ausmacht, dann lauf ich auch. Vater Alrik hat immer gesagt, wer seine Beine nicht oft genug gebraucht, der kann auch nicht schnell genug wegrennen, wenn’s brenzlig wird."

Bei Raslans Worten hellte sich das Gesicht des Zwerges wieder etwas auf. "Du hast einen sehr vernünftigen Vater. Er weiß wovon er redet. Wozu hat man denn zwei gesunde Beine? Sicher nicht, um auf ein Ungetüm zu klettern und sich tragen zu lassen. Das ist eh eine Erfindung der Menschen. Typisch, selbst zum Laufen sind sie zu faul...." Grummelnd befestigte der Zwerg sein Bündel am Packsattel des Ponys, ohne den traurigen Blick Raslans zu bemerken. Kurz kniff der Junge seine Augen zusammen, dann wischte er sich in einer schnellen Bewegung mit dem Ärmel über die Nase, spannte die Schultern und sah ein wenig trotzig zur Tür der Gastwirtschaft, die sich gerade eben wieder geöffnet hatte.

"Ich werde euch begleiten.", mit dieser knappen Antwort schloss Wolfsherz die Tür zur Gaststube und gesellte sich zu der kleinen Gruppe, die da vor dem Wirtshaus stand. Bis auf einen ledernen Rucksack hatte der Fremde augenscheinlich nichts bei sich, doch Osk´s feine Ohren konnten das feine Klirren von Metall wahrnehmen. Scheinbar trug der Fremde etwas mehr am Leib, als seine lederne Kleidung und den, mit Wolfsfell verzierten Mantel.

Es scheint gerade so, als würde er nie wirklich glauben, das es so etwas wie Sicherheit gebe, dachte Belan, der Wolfsherz beobachtete, wie dieser mit geübten Griffen ein Pferd vor der Gastwirtschaft losband und seinen Lederrucksack an einer der Satteltaschen befestigte. Der Fremde schien mit seinen eisblauen Augen seine Umgebung beständig zu mustern. Nein, Belan war sich wirklich nicht sicher, ob es eine glückliche Fügung des Schicksals war, diesem Mann hier zu begegnen.

"Nun gut, Herr Wolfsherz, dies ist ein freies Land!" Belan nickte dem Krieger kurz zu, obwohl er alles andere als erfreut war, diesen rätselhaften Menschen an seiner Seite zu wissen. Aber immerhin, wenigstens war er diesmal nicht wieder ‚belehrt’ worden.

***

"Nun gut, dann kommt! Raslan," Belan zog sein Pferd am Zügel hinter sich her, "am besten beeilen wir uns. So wie Osk ausholt möchte er wohl heute noch bis nach Gareth kommen..." Belan nahm die Hand des Jungen und gemeinsam schlossen sie zu Osk auf, der murrend sein Pony hinter sich her zog. Obwohl Belan immer noch nicht glücklich mit der Situation war, begann er sich doch immer mehr über die Reise und Osks Gesellschaft zu freuen und so kehrte so langsam auch seine gute Stimmung zurück.

"Sag mal, das ist aber nicht 3 Silberling, oder?" Belan hatte sich das Zwergenpony genau angesehen. "Ha, wahrlich nicht." Der Zwerg sah auf das Tier mit Verachtung herab, während er sich abmühte, sich gegen den Zug des Tieres zu stemmen, dem augenscheinlich noch der Geruch des Wirtshauses mit seinen trockenen Stallungen in der Nase hing. "Ich habe diese Mähre zu Hause von meiner Mutter bekommen. Wahrscheinlich wollte sie es nur los sein." Das Pony hatte die Ohren angelegt und versuchte, mit seinen gelben Zähnen nach der Osks Hand zu beißen. Belan bemühte sich verzweifelt, ein Grinsen zu unterdrücken. Er kannte Osk lange genug, um zu wissen, dass der Zwerg hochgehen würde wie Hylaier Feuer, wenn er jetzt kichern sollte. Augenscheinlich hatte sich ein würdiger Nachfolger für Osks altes Zwergenpony gefunden. "Wie heißt es denn?" Belan versuchte, so uninteressiert wie möglich zu klingen. Osk murmelte etwas und wurde langsam blaßrosa. Belan hob eine Augenbraue und sah den Zwerg erstaunt an, während Raslan ein plötzlicher Anfall von Magenschmerzen zusammenzufalten schien. "Wie?" Belan war wirklich erstaunt, immerhin wechselte der Zwerg widerum die Gesichtsfarbe und war nun tiefrot geworden. "Samthuf! Wasch Dir die Ohren." Belans Gesicht ruckte zur Seite, während sein Unterkiefer bedrohlich zitterte. Nie hätte ich gedacht, dass Zwerge zu dieser Art von Humor fähig wären! Unter dem grimmigen Blick des Zwergen ließen sich Belan und Raslan ein Weilchen zurückfallen, Tränen in den Augen und puterrot im Gesicht. Doch immer wenn Osk sich umdrehte, preßten sie verkrampft die Lippen aufeinander um nicht laut loszulachen...

***

Während Belan nach einiger Zeit wieder zu dem Zwergen aufschloss um wie in alten Zeiten neben Osk ins Abenteuer zu ziehen, blieb Raslan neben Wolfsherz zurück, den Krieger immer wieder fasziniert von der Seite beobachtend.

"Sag Junge, was machst du auf dieser Reise eigentlich?" Wolfsherz kramte in seinen Taschen und streckte schließlich seine linke Hand Raslan entgegen, der nun einen kleinen braunen Ast darin erkennen konnte. Als Wolfsherz das große Fragezeichen in dem Gesicht des Jungen entdeckte lachte er kurz und laut auf. "Nein, dies ist kein Ast mein Junge, dies ist Süßholz, so nennen es die Eingeborenen des Südens jedenfalls. Der norbardische Händler von dem ich es erworben hatte, wollte mich zwar nach Strich und Faden beschiskeln, also über den Tisch ziehen, aber nachdem wir ein wenig getrunken hatten und ich mit ihm in der Sprache seines Volkes sprach, gab er mir die Stücke zu einem gutem Preis. Nimm schon, ich beiße nicht, auch wenn der Wolf in meinem Namen steckt!", dabei lachte er wieder und schaute Raslan mit einem freundschaftlich herausfordernden Blick an.

Der Junge nahm den kleinen Ast entgegen, runzelte die Stirn und roch vorsichtig daran. Dann sah er Wolfsherz geradeheraus an, zuckte die Schultern und schob sich nachdenklich das eine Ende des Süßholzes in den Mund. Kurz schloß er die Augen, während er verwirrt versuchte, den Geschmack einzuordnen und letztlich beschloss, dass dies wohl eine neue Geschmacksrichtung war, wie er sie noch nicht kannte.

Die meerblauen Augen faßten den Krieger in den Blick, während der Junge immer noch nachdenklich an dem Ast kaute: "Ich bin der Knappe von Belan." Deutlicher Stolz sprach aus dem Blick des Jungen: "Er hat versprochen, dass er mir alles beibringt, was er kann. Und ich habe versprochen, dass ich versuche, alles zu lernen, auch wenn ich noch Probleme mit dem Bospodings habe." Ein kurzes Achselzucken, dann sah er wieder in Wolfsherz leuchtende Augen. "Aber Belan sagt, das kriegen wir hin, das mit dem Bospowiauchimmer. Und den Rest werde ich sicher auch lernen. Immerhin kann ich schon ein paar Sachen.

"Sag mal Osk," Belan beobachtete den Zwerg, der sich grimmig in die Zügel des kleinen Ponys stemmte: "wie hat Adran Dich eigentlich damals aufs Pferd bekommen? Und erzähl mir jetzt nicht, daß Du noch nie geritten bist! Ich weiß genau, daß Du nicht nur geritten bist, sondern auch bereits mehrmals mit einem Schiff auf Hoher See warst."

Osk schenkte seinem Freund einen mürrischen Blick: "Diese Sachen, die du da ansprichst, sind dunkle Kapitel in meiner Vergangenheit und ich möchte darüber nicht reden! Nur soviel: Ja, ich bin schon geritten und ich war auch schon auf hoher See. Manchmal gibt es Situationen, da mußt du Kompromisse eingehen. Ich habe es getan, doch das waren Erfahrungen, die ich nicht unbedingt nochmal erleben möchte. Nein, nein, da bin ich echt nicht so versessen drauf!"

Während Belan seinen Freund noch nachdenklich musterte, breitete sich auf dem zerfurchten Gesicht des Zwergen ein Lächeln aus. "Ach Osk, fast wie in alten Zeiten, oder?" Belan konnte einfach nicht anders, er war glücklich. Viel zu lange war er nun schon nicht mehr mit Osk einfach so durch die Lande gezogen. Erinnerungsfetzen gingen ihm durch den Sinn, während die kühle Luft um seine Nase strich und er auf das Wiehern der Pferde lauschte. "In der Tat Belan, wie in alten Zeiten!" Mißmutig schaute der Zwerg zu dem nahen Waldrand und musterte anschließend den Weg, der sich zwischen grünen Wiesen und Feldern hindurch schlängelte. "Viel zu grün ist es hier!"

Immer mal wieder kniete sich der Zwerg hin und musterte den Boden, um gleich darauf wieder mit zusammengekniffenen Augen den Weg vor sich zu betrachten und dem Magier mit einem Kopfnicken anzutreiben. Hinter den Beiden liefen Raslan und Wolfsherz, augenscheinlich ebenso den Weg genießend.

Plötzlich verharrte Belan und bedeutete seinen Gefährten ruhig zu sein, dann sah er sich langsam nach Raslan um und deutete auf den Waldrand, der in einiger Entfernung zum Wegesrand verlief. Ein junges Reh war aus dem Unterholz getreten und sah zu der kleinen Gruppe hinüber, um gleich darauf wieder im Wald zu verschwinden.

Strahlend sah Belan Raslan an: "Siehst Du wie schön die Natur sein kann, wenn man nur ein wenig Verständnis dafür aufbringt...." Osk verdrehte die Augen: "Ja wenn man dafür Verständnis hat. Tolle Natur! Jetzt geh weiter, oder ich tret' dich in den Allerwertesten. Rehe, das ich nicht lache. Wenn ich doch nur 'ne Armbrust gehabt hätte. Pah, Viehzeug. Komm, Samthuf, leg mal 'nen Gang zu." Belan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er kannte Osk lange genug um zu wissen, dass der Zwerg nur dann derartig grummelte, wenn er wirklich glücklich war. Augenscheinlich genoss auch Osk den Weg, selbst wenn er sich eher die Zunge abgebissen hätte, als dies zuzugeben.

Belan sah über seine Schulter, den Zwergen nicht aus dem Augenwinkel lassend: "Sag einmal Osk, ist das nicht sogar ’ne Armbrust?" Vergnügt wies er auf ein Bündel, das seitlich an Samthuf befestigt war. Statt eine Antwort zu geben, ließ sich der Zwerg jedoch wieder auf den Boden herab und musterte die Spuren. Belan runzelte die Stirn: "Sag mal Osk, wie wollen wir denn eigentlich weiter vorgehen? Spuren haben wir bisher ja wohl keine gefunden, jedenfalls keine, die auf das Mädchen hindeuten... Zumal wir ja auch gar nicht wissen, in welche Richtung sie die Taverne verlassen hat." Osk sah auf: "Tja, dass ist eine gute Frage. Ich habe keine Spuren entdecken können, die eindeutig auf das Mädchen hindeuten. Wenn es auch noch einen anderen Weg eingeschlagen hat, dann können wir es nicht mehr finden. Dann ist das Mädchen auf sich allein gestellt. Das gefällt mir nicht!"

Er zögerte einen Moment und meinte dann an Wolfsherz gewand, der mit Raslan herangekommen war: "He, kennst du dich hier in der Gegend eigentlich aus? Kennst du einen Ort, wo sich das Mädchen verstecken kann? Nicht das wir die ganze Zeit in die falsche Richtung gelaufen sind! Hoffe du hast eine Idee, sonst wird es schwierig werden sie zu finden. Dann kann man auch eine Stecknadel im Heuhaufen suchen."

Belan wandte den Blick auf das verschlossene Gesicht des Kriegers. Dann soll dieser Kerl mal zeigen, was in ihm steckt. Besserwisser! Mir sagen, was ich zu tun habe. Aber wir werden ja sehen. Wahrscheinlich wird er sich wohl nur dazu herablassen, Osk zu sagen, wie er seine Axt zu halten hat. Und dann will ich mal sehen, was er auf die Reaktion zu sagen hat.

Wolfsherz trat schweigend neben den Zwerg und begann, den Boden akriebisch mit den Augen abzusuchen. Mehrmals hob er fragend den Blick und bat Osk, seine eigene Meinung zu etwas beizusteuern, das er selber sich nicht erklären könne. Es dauerte keine Minute, da waren der große und der kleine Krieger in eine angeregte Diskussion verstrickt, die sich um die Spurensuche im Allgemeinen und die Möglichkeiten eines Fundes in dieser speziellen Situation drehten.

Raslan hatte anfangs interessiert dem Gespräch gelauscht, doch nach kurzer Zeit runzelte er gelangweilt die Stirn, bohrte mit einem Finger in der Nase und schlenderte auffällig unauffällig zu Belan herüber, der mittlerweile in den Satteltaschen wühlte. "Wenn wir hier eh ein wenig Aufenthalt haben, dann kann ich auch für einen kleinen Imbiß sorgen, meinst Du nicht?" Das strahlende Zahnlückengrinsen des Kleinen war Belan Antwort genug.

Inzwischen hatten der Zwerg und der Krieger den Boden Stück für Stück unter die Lupe genommen. "Nun das Mädchen kann noch nicht weit sein. Sie hat nur einen kleinen Vorsprung und ich denke nicht, dass sie sich so gut im Wald auskennt. Wenn wir unseren Fähigkeiten und Instinkten vertrauen, dann werden wir sie schon finden. Wäre doch gelacht, wenn nicht. Hab schon andere Sachen gesucht und gefunden....." Der Zwerg strahlte eine Zuversicht aus, dass Wolfsherz unwillkürlich grinsen mußte. Endlich, ungefähr einen halben Schritt neben dem Weg, entdeckte Osk den Abdruck eines bloßen Fusses und nach dieser ersten Spur war es ein Leichtes für Wolfsherz, der Entdeckung des Zwergen eigene Beobachtungen hinzuzufügen: "Hier scheint sie ein wenig länger gestanden zu haben, wohl um sich zu orientieren. Ein ganz normales Verhalten, wenn man sich im Wald nicht auskennt."

Den fragenden Blick des Zwergen beantwortete Wolfsherz mit einem entwaffnenden Achselzucken: "Ich wandere eigentlich schon viel zu lange durch die Wildnis. Ich fürchte, ich bin selbst schon so knorrig geworden, wie die Bäume, die hier stehen." Wolfsherz legte fast zärtlich seine schwielige Hand auf die Rinde einer riesigen Steineiche. "Ich wünschte ich hätte auf meiner Suche, solch deutliche Spuren gefunden...", ein tiefes Atmen, dann erschien wieder dieser harte Glanz in seinen Augen. "Wer weiß, welche Gefahren da im Wald auf solch ein Mädchen lauern? Spuren hat sie ja genug gelegt, diesen sollten wir so schnell wie nur möglich folgen. Was meint ihr, werter Herr Heldenhammer, werden wir die Kleine finden?", er schaute den Angroschim offen und ohne jede Herablassung an, die Augen voll des tiefen Respektes, den er einem Angehörigen des alten Volkes entgegenbachte.

Belan hatte schweigend zugehört. Irritiert fragte er sich, wie lange der Krieger wohl schon unterwegs war. Die Routine, mit der sich Wolfsherz im Wald bewegte, sprach eine deutliche Sprache. Der Mann schien sich hier draußen zudem völlig verändert zu haben. Jede Spur von Herablassung war von ihm abgefallen und die Art und Weise, wie er mit Raslan und Osk umging, deutete auf eine bessere Erziehung, als Belan sie dem Krieger bis jetzt zugestanden hätte. Vielleicht ist er doch ein besserer Reisegefährte, wenn er erst mal wieder die Zivilisation abgestreift hat. Ein Lächeln spielte in den Mundwinkeln des Magus. Und doch bin ich meines Erachtens noch nicht oft mit so unterschiedlichen Gefährten gereist.

Osk deutete voran: "Dann laßt uns mal weiterstapfen. Wir sind auf jeden Fall richtig hier." "Na dann, die Herren, führt uns mal zu der jungen Maid, auf daß wir sie wirklich finden mögen. Komm Raslan, bleib jetzt in unserer Nähe, man weiß nie, was einem in einem unbekannten Wald so alles widerfährt." Sachte zog er am Zügel seines Pferdes, Raslan an seiner Seite, der angestrengt an einem Streifen Trockenfleisch kaute: "Mann, isch dasch tschäh..." Der Junge erinnerte Belan an ein mümmelndes Kaninchen.

***

Wolfsherz sog tief die Luft ein, ein Geräusch, das Osk, der gerade ein paar Büsche genauer untersuchte, die das Mädchen auf seinem Weg in den Wald hinein wohl gestreift hatte, wie deutlich die abgeknickten Äste bewiesen. "Herr Heldenhammer, ich glaube, da vorne liegt die Kleine!"

Auch Belan hatte mittlerweile die lang hingestreckte Gestalt entdeckt und Raslan kurzerhand den Zügel in die Hand gedrückt, während er, Wolfsherz dicht hinter sich, nach vorne stürmte. Auch Osk schoß nach vorne, während Raslan sich, die Zunge zwischen den Zähnen, bemühte, das Pferd vorwärts zu ziehen. Ein saftiges Büschel grünen Grases, das das Pferd ein Stückchen weiter im Wald hinein entdeckt hatte, übte allerdings augenscheinlich einen wesentlich höheren Reiz aus, als der zerrende Bursche, so dass Raslan mit einem leisen "Ups." Bekanntschaft mit dem nächsten Gebüsch machte und anschließend grummelnd hinter dem Pferd her schlidderte, bis dieses innehielt, ihn ungnädig ansah und sich dann ganz auf die längst überfällige Mahlzeit konzentrierte.

Belan und Wolfsherz waren mittlerweile bei dem Mädchen angekommen, das wohl über eine Wurzel gestürzt und das Bewußtsein verloren hatte.

(Diese Geschichte ist noch nicht beendet!)

S.Gundlach / M.Gundlach / D.Milanovic / V.Weinzheimer / A.Kärgelein